7 Abschied | kontakt VSE Ich kann die Emotionen in Martin Bocks Stimme spüren. Für ihn ist das Kraftwerk nicht nur ein Arbeitsplatz gewesen, sondern ein Teil seines Lebens. Die Vorstellung, dass dieser Ort bald nicht mehr existieren wird, bewegt ihn tief. „Es ist, als würde ein Stück meiner eigenen Geschichte verschwinden“, sagt er leise. Er beginnt, mir von besonderen Momenten aus seiner Zeit im Kraftwerk zu erzählen. Da war der Tag im Jahr 1983, als ein Ingenieur der Abteilung „Technisches Büro“ den Auftrag erhielt, die Menge des Betriebsabwassers zu ermitteln. Obwohl die drei Blöcke schon jahrelang in Betrieb waren, existierten nur Schätzwerte. Der Ingenieur verbrachte drei Tage im Sandfang, um verlässliche Messungen vorzunehmen. „Drei Tage lang war er da unten eingesperrt“, erinnert sich Martin Bock. „Aber am Ende waren alle zufrieden, und die genehmigten Maximalwerte wurden eingehalten.“ Ein anderes Mal, 1984, war Martin Bock gerade zum ersten Mal als Vertreter des Abteilungsleiters in der Abteilung Außenanlagen und Bekohlung tätig, als ein Schaufellader auf dem Kohlenlagerplatz abrutschte und auf der Seite liegen blieb. „Gott sei Dank war der Fahrer unverletzt“, erinnert er sich. „Mit einem Bergungskran haben wir das schwere Gerät wieder aufgerichtet, und der Kraftfahrzeugmeister führte selbst die Reparatur durch. Als der Abteilungsleiter davon erfuhr, gab es großes Lob.“ Auch 1986 gab es ein ungewöhnliches Projekt, als das Kraftwerk begann, Wärme an den Gartenbaubetrieb Marion in Saarlouis zu liefern. Eine 1,5 km lange Doppelleitung wurde gebaut, um das heiße Wasser, das durch die Granulierung der schmelzflüssigen Asche entstand, zu den neuen Wärmetauschern zu leiten. „Dank dieser Wärme blühten die Blumen auch im Winter“, erzählt Martin Bock lächelnd. „Wir bekamen regelmäßig schönen Blumenschmuck als Dank.“ Als Martin Bock mir von all diesen Geschichten erzählt, merke ich nochmal mehr, wie stark die Verbindung der Mitarbeiter zum Kraftwerk war. Für mich war es ein Symbol der Heimat, für ihn und viele andere war es ein Lebensinhalt. Die Türme, die einst so majestätisch in den Himmel ragten, sind nun bereit, Platz für Neues zu machen. Die Sirenen heulen auf und kündigen das bevorstehende Ende an. Ich blicke noch einmal auf die vertrauten Türme, die bald nicht mehr sein werden. Ein tiefer Atemzug, ein letztes Innehalten – und dann, kurz hintereinander, ein ohrenbetäubendes Dröhnen. Die Türme sinken langsam in sich zusammen, Staubwolken steigen auf und hüllen das Gelände in einen dichten Nebel. In diesem Moment wird mir klar, dass auch wenn die physische Struktur verschwindet, die Erinnerungen und Geschichten, die wir mit diesem Ort verbinden, für immer bleiben werden. Martin Bocks Augen glänzen, als der Staub sich legt. „Es ist schwer, Abschied zu nehmen“, sagt er, „aber die Erinnerungen kann uns niemand nehmen – und jetzt ist Zeit für etwas Neues.“ Mit diesen Gedanken verlasse ich das Gelände. Das Kraftwerk Ensdorf ist nun Geschichte, doch die Spuren, die es in unseren Herzen hinterlassen hat, werden weiterleben. [sl] Autorin Sarah Lehnen Adieu, Kraftwerk! Kühlturm fällt … Kamin 1 fällt … Kamin 2 und Entstickungsanlage fallen.
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