kontakt 02/2024

Die Zufahrt ist mir sehr vertraut, doch heute wirkt sie anders. Es ist der Tag der Sprengung des Kraftwerks in Ensdorf, und während ich mich dem Gelände nähere, überkommen mich Erinnerungen an meine Kindheit. Die Silhouette des Kraftwerks hat für mich immer das Gefühl von Heimat bedeutet. Jedes Mal, wenn ich die imposanten Türme in der Ferne erblickte, wusste ich, dass ich bald zuhause sein würde. Doch heute wird diese vertraute Landmarke für immer verschwinden. 6 VSE kontakt | Abschied Physiker und Wissenschaftsjournalist: Ranga Yogeshwar Als ich das erste Mal das Kraftwerk besichtigte, war ich sechs Jahre alt. Meine Eltern hatten mich mitgenommen, und ich erinnere mich noch gut an den Moment, als wir auf dem Dach standen. Die riesigen Maschinen, die endlosen Rohre und Leitungen – es war eine Welt, die mir damals unendlich groß erschien. Inmitten dieser Anlage fühlte ich mich klein, aber auch beschützt. Die schiere Größe und Macht des Kraftwerks hinterließen einen bleibenden Eindruck. Ich war fasziniert und ein wenig ehrfürchtig zugleich. Heute, so viele Jahre später, kehre ich zurück, um den letzten Moment dieser monumentalen Struktur zu erleben. Auf dem Weg in die äußere Sicherheitszone fahre ich an vielen Menschen vorbei, die an diesem Sonntag extra früh aufgestanden sind, um sich von „ihrem Kraftwerk“ zu verabschieden. Ich fühle mich irgendwie beklemmt und zeitgleich ist mir bewusst, dass hier auch in Kürze etwas Neues entsteht, was für die Zukunft der Region ebenfalls prägend sein wird. Ich parke das Auto und trete auf das Gelände. Die Luft scheint gefühlt unter Spannung zu stehen. Jeder, dem ich begegne, scheint etwas in Gedanken versunken, jeder hat seine eigene Geschichte, die mit diesem Ort verbunden ist. Ich frage mich, wie es wohl jemandem geht, der den Großteil seines Lebens hier verbracht hat. Am vereinbarten Treffpunkt begegne ich Martin Bock, dem ehemaligen, stellvertretenden Kraftwerksleiter. Martin Bock war nach der Stilllegung des Kraftwerks 2017 als Geschäftsführer des VEWSaar tätig. Doch seine Augen leuchten auch heute noch, wenn er von seiner Zeit im Kraftwerk erzählt. „Jede Schraube, jede Maschine – ich kenne sie alle“, sagt er mit einem Lächeln. „Wir waren wie eine Familie. Die Kollegen, mit denen ich Tag für Tag, Schicht für Schicht gearbeitet habe, wurden zu meinen engsten Freunden.“ Er erinnert sich an die unzähligen Stunden, die er auf dem Gelände verbrachte, an die Geräusche der Maschinen, die ihm damals so vertraut waren. „Es gab Tage, da verbrachten wir mehr Zeit hier als mit unseren eigenen Familien. Feiertage, Wochenenden – das Kraftwerk lief rund um die Uhr, und wir waren immer da, um sicherzustellen, dass alles reibungslos funktionierte.“ Der letzte Tag des Kraftwerks Ensdorf Eine Ära geht zu Ende Martin Bock sichtlich bewegt bei den Sprengungen auf dem Kraftwerksgelände in Ensdorf

RkJQdWJsaXNoZXIy NTg2OTg=