Teil der Energiewende 02/2023 Wärmewende: Wie heizen wir in Zukunft? Digitalisierung: Aufbruchstimmung im Saarland Standort Ensdorf: Start in eine neue Ära
04 Jahrespressegespräch 06 Energiewende live 07 Zeit für Glasfaser in Großrosseln 08 Digitales Saarland: Aufbruchstimmung 10 Sonnenstunden für Nunkirchen 12 Freie Flächen doppelt nutzen 14 Heizungstausch: Bitte Ruhe bewahren 16 N euer Vorsitzender des Aufsichtsrates 18 Platz schaffen für eine neue Ära im Saarland 22 Ensdorf: Gelebte Kooperation 24 Ensdorf gestern und morgen 26 Tradition verbindet 28 Vom Ausrüster zum Anbieter 30 Flagge zeigen in stürmischen Zeiten 32 Scherer-Gruppe: Antriebsstark 34 Zehn Tonnen am Haken 2 VSE kontakt | Inhalt 36 energis-Landstrom 38 Die Region stärken 40 Zurück an alter Wirkungsstätte 42 Die bessere Alternative 43 Auf Wolke sieben 44 Sicher, gut und günstig 46 Die Krone geht nach Bebelsheim 48 News – Kurz und bündig 50 Katastrophenhilfe Türkei 52 Tonnenweise Schrott 54 Jonas Wehr – Superazubi 55 Erfolgreiche Energie-Scouts 56 Technikaffin von Anfang an 58 „I want to ride my Drahtesel“ 59 Pixel statt Volt, Watt und Ohm
Liebe Leserinnen und Leser, was haben wir in der letzten Ausgabe vorausgesagt? „Das Jahr 2023 ist turbulent gestartet und so wird es wohl auch weitergehen.“ Stimmt, es wird nicht langweilig. Während sich die Ampelkoalition in Berlin nach hitzigen Debatten auf einen Entwurf zum umstrittenen Wärmegesetz verständigt zu haben scheint, machen wir hier im Saarland unaufgeregt und solide unsere Hausaufgaben. Mit Rekordinvestition von 280 Millionen Euro werden bis 2025 die Energienetze weiter ausgebaut und weitere Erzeugungsanlagen für Erneuerbare Energie errichtet. Das ist ein ehrgeiziges Vorhaben, das alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der VSE-Gruppe in ihren unterschiedlichen Rollen einbindet. Es ist wunderbar zu beobachten, wie hier gemeinsam Zukunft geschaffen wird. In dieser Ausgabe von kontakt geben wir Ihnen Einblicke in unterschiedliche Transformationsprozesse der VSE-Gruppe. Dabei werfen wir auch einen Blick dorthin, wo derzeit saarländische Industriegeschichte geschrieben wird. Am Kraftwerksstandort Ensdorf hat der Abbau der Anlage längst begonnen. In wenigen Monaten wird die prägende Landmarke im Saartal verschwunden sein. Auch das ist eine Zeitenwende, mit großen Chancen für die umliegenden Gemeinden, für das Saarland und auch für die VSE-Gruppe. Wir leben in spannenden Zeiten, die uns viel abverlangen. Aber, es lohnt sich. Wir sind stolz darauf, die Energiezukunft unseres Landes maßgeblich mit zu gestalten. Mit freundlichen Grüßen Ihr VSE-Vorstand Dr. Hanno Dornseifer Dr. Stephan Tenge Editorial 3 IMPRESSUM Herausgeber: VSE AG Redaktion: Marie-Elisabeth Denzer [v.i.S.d.P.] Mitarbeiter dieser Ausgabe: Marie-Elisabeth Denzer [med], Michael Lhuillier [ml], Sarah Lehnen [sl], Katja Scherer [ks], Armin Neidhardt [nea], Michael Därnbächer [md], Michi Jo Standl [mjo], Thomas Jungmann [tj.], Selina Altmeyer [sa], Ewald Kugler [ek] Fotos: Armin Neidhardt, brainworks unlimited, VSE AG, energis GmbH, VSE NET GmbH, Dirk Guldner, DIHK | Deutsche Industrie- und Handelskammer, Next2Sun Technology GmbH, IZES gGmbH, Daniel Müller, Peter Fischer, Gemeinde Ensdorf, Rafael Sierra Garrido, Heidi Kollitz, Axel Junker, Matthias Georg, Stadtteilbüro Alt-Saarbrücken, Ulrich Schmitt, Ewald Kugler, Michael Gerlach, Ludwig Loch, Selina Altmeyer, Christian Schwier/Adobe Stock – Composing Layout: Michael Weiss, Saarbrücken Druck: Druckerei Wollenschneider, Saarbrücken-Ensheim Copyright: VSE AG – Kommunikation, Postfach 10 32 32, 66032 Saarbrücken, Telefon 0681 607-1153, kontakt@vse.de, www.vse.de
4 VSE kontakt | Trends & Themen und Produkte sowie digitale Lösungen aus der VSE-Gruppe erfreuen sich weit über die saarländischen Landesgrenzen hinaus einer großen Nachfrage“, erklärte VSE-Vorstandsmitglied Dr. Stephan Tenge. „Wir sehen uns als wichtigen Akteur im Transformationsprozess des Saarlandes und leisten unseren Beitrag zum Gelingen der Energie-, Wärme- und Verkehrswende als Voraussetzung für die Zukunftsgestaltung des Landes.“ Als ein positives Beispiel für diesen Wandel gilt der ehemalige VSE-Kraftwerksstandort Ensdorf, an dem über 50 Jahre lang Strom für die saarländische Wirtschaft erzeugt wurde und an dem künftig Siliziumkarbid-Halbleiter für die europäische Industrie produziert werden. Strom- und Gasabgabe stark rückläufig Der Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Energiekrise, die hohe Inflation sowie die Folgen der Corona-Pandemie mit Lieferengpässen belasten Wirtschaft und Die VSE-Gruppe: Garant für die Zukunftsgestaltung des Saarlandes Jahrespressegespräch Die VSE-Gruppe bleibt ein zuverlässiger Partner für ihre Kunden in der Zeitenwende. Angesichts der wohl größten wirtschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte unterstützt die VSE mit ihren Tochterunternehmen energis, artelis und FAMIS sowie den Netzgesellschaften VSE Verteilnetz und energis-Netzgesellschaft tatkräftig den Weg des Saarlandes zu einer klimaneutralen und zukunftsorientierten Energieversorgung. „Die sichere und bezahlbare Versorgung mit Energie, der konsequente Ausbau der regenerativen Energien zur Strom- und Wärmeversorgung von Industrie, Kommunen und Haushalten sowie die Modernisierung der Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur stehen weiterhin im Fokus unseres Handelns“, so VSE-Vorstandsmitglied Dr. Hanno Dornseifer in der Jahrespressekonferenz im Mai. Dafür investiert die VSE-Gruppe bis 2025 über 280 Millionen Euro im Saarland, die Hälfte davon allein in die Stromnetze. „Innovative Technik, energieeffiziente Dienstleistungen
Trends & Themen | kontakt VSE Weitere Infos: VSE AG www.vse.de 5 Haushalte gleichermaßen, was sich auch in der stark rückläufigen Energienachfrage zeigt: Die Stromabgabe der VSE-Gruppe sank im Geschäftsjahr 2022 – im Wesentlichen konjunkturell- und verbrauchsbedingt – von 7.415 auf 5.173 GWh. Vor allem die industriellen Großverbraucher und Großhändler nahmen im abgelaufenen Geschäftsjahr deutlich weniger Strom ab. Die Erdgasabgabe fiel von 8.975 auf 7.179 GWh. Die Sparappelle beim Gas seitens der Politik, die extrem gestiegenen Preise sowie die milden Temperaturen zeigten Wirkung. Die Wasserabgabe lag mit 6,6 Millionen m3 trotz eines heißen Sommers nur geringfügig über dem Vorjahresniveau. Umsatzerlöse preisbedingt gestiegen Trotz rückläufiger Strom- und Erdgasabgabe sind die Umsatzerlöse der VSE-Gruppe 2022 auf 1.349 Millionen Euro gegenüber 1.022 Millionen Euro im Vorjahr gestiegen. Wesentlicher Grund dafür ist die extreme Verteuerung von Energie an den Beschaffungsmärkten. Umsatzsteigernd wirkte sich zudem die hohe Nachfrage nach innovativen, nachhaltigen und energienahen Dienstleistungen und Produkten der VSE-Gruppe aus sowie nach Telekommunikationsdienstleistungen. Zum Anstieg führten auch höhere Aufwendungen für zukunftsweisende IT-Projekte. Auch wenn die Marktpreise für Strom und Erdgas seit Ende 2022 rückläufig sind, bewegen sie sich nach wie vor auf einem historisch hohen Niveau. Die VSE geht davon aus, dass die Energiepreise im laufenden Jahr weiterhin hoch bleiben werden. Und das trotz der Entlastungen durch die Strom- und Gaspreisbremse und vorausschauender langfristiger Beschaffung von Energie, deren Auswirkungen erst mit einer zeitlichen Verzögerung spürbar werden. Regenerative Energien im Aufwind Die VSE selbst gehört seit geraumer Zeit zu den größten Erzeugern regenerativer Energie Die Vorstände der VSE AG Dr. Hanno Dornseifer (Mitte) und Dr. Stephan Tenge, mit Pressesprecherin Marie-Elisabeth Denzer. in der Region. Gemeinsam mit Partnern ist der Infrastrukturdienstleister im Saarland an der Produktion von rund 130 Megawatt (MW) installierter Windkraft und 25 MW Energie aus Photovoltaik beteiligt. Neue Photovoltaikanlagen entstehen in Namborn, Nunkirchen, Büschfeld und Mosberg Richweiler. Weitere Projekte mit 82 MW Windkraft, die größten davon in Blieskastel und Losheim-Scheiden, und 18 MW Photovoltaik befinden sich in der Projektierung. Attraktive kommunale Partnerschaftsmodelle mit Bürgerbeteiligung, beschleunigte Genehmigungsverfahren auch für den notwendigen Netzausbau sowie finanzielle Anreize wie der Wegfall der Mehrwertsteuer auf neue Photovoltaikanlagen dürften der Nachfrage nach regenerativer Energieerzeugung einen weiteren Schub geben. Voraussetzungen sind die Akzeptanz der Bevölkerung sowie mehr Flächen für Erneuerbare-Energien-Anlagen als bisher. Investitionen auf Rekordhöhe Die VSE-Gruppe wird über die beiden Netzgesellschaften bis 2025 allein rund 140 Millionen Euro in den Ausbau ihrer Stromnetze inklusive deren Digitalisierung, knapp 20 Millionen Euro in die Erdgasnetze und fast 10 Millionen Euro in die Wasserversorgung investieren unter strenger Berücksichtigung des Landschafts- und Naturschutzes. Hinzu kommen 24 Millionen Euro an Investitionen u. a. in Informationssicherheit und Datenschutz sowie 7 Millionen Euro in intelligente Messsysteme in den nächsten drei Jahren. Weitere 6 Millionen Euro Investitionen sind im Bereich Energiedienstleistungen geplant. Im Bereich Telekommunikation liegt das Investitionsvolumen allein für den FTTH-Ausbau bis 2025 bei 42 Millionen Euro. Von der Investitionstätigkeit profitiert auch die heimische Wirtschaft: Rund dreiviertel der Aufträge und Bauarbeiten vergibt die VSE-Gruppe an Unternehmen aus dem Saarland. Das sichert Arbeitsplätze in der Region und sorgte letztes Jahr für regionale Wertschöpfungseffekte in Höhe von rund 235 Millionen Euro. Ende 2022 beschäftigte die VSE-Gruppe 1.552 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit rund 90 mehr als Ende 2021. Bis 2025 sollen trotz des sich verschärfenden Fachkräftemangels noch einmal rund 160 hinzukommen [nea]
6 VSE kontakt | Trends & Themen Welche Maßnahmen stecken hinter den Zahlen? Was wurde bereits in 2022/23 umgesetzt? • V erkabelungsmaßnahmen in der Mittelspannung in 2022: 17 km • V erkabelungsmaßnahmen in der Niederspannung in 2022: 30 km • Neubau bzw. Ersatzneubau von 22 Ortsnetzstationen • Ausbau von 53 km FTTH-Infrastruktur • Start der Bauphase am Umspannwerk für Wolfspeed • Temperatur-Monitoring zur Steigerung der Übertragungsleistung der HS-Freileitung zwischen Merzig und Wadern • Ausbau der Umspannwerke Altforweiler und Schmelz zur Erhöhung der Einspeisekapazität für Erneuerbare Energien Maßnahmen für die Zukunft des Saarlandes Energiewende live 280 Millionen Euro Investitionen in den Standort Saarland, davon 140 Millionen in den Ausbau und Digitalisierung der Stromnetze bis 2025. Welche Maßnahmen sind für 2023 noch geplant? • Start des Neubaus vom Netzanschluss Saarstahl • Neubau eines EE-Umspannwerkes • Planung des Ersatzneubaus der 110-kV-Freileitung Wadern – Merzig • Erweiterung der 110-kV-Anlage Ensdorf aufgrund der Transformation der Stahlindustrie Smartifizierungsmaßnahmen der Netze; darunter Digitale Ortsnetzstationen im Netz der energis-Netzgesellschaft (Ersatz & Neubau) • B austromanschluss am Baufeld von Wolfspeed in Ensdorf • Ausweitung des Mittelspannung-Verkabelungsprogramms (ca. 60 km Stromkreislänge) • Ersatz für störanfällige Mittelspannungs- Freileitungen und Verstärkung des Netzes aufgrund steigender Anforderungen (eMobility, EEG, Wärmewende) • Weiterführung des Niederspannung- Verkabelungsprogramms • Umsetzung der Maßnahmen auch als Synergiemaßnahmen im Rahmen des FTTH-Ausbaus (z.B. in Wadern, Püttlingen,etc.) [ml]
7 Trends & Themen | kontakt VSE Zeit für Glasfaser in Großrosseln Ausbau in allen Ortsteilen Die Gemeinde Großrosseln unterteilt sich in die sechs Ortsteile Großrosseln, Emmersweiler, Dorf im Warndt, Naßweiler, Karlsbrunn und St. Nikolaus. In den beiden letztgenannten Ortsteilen ist bislang keinerlei Glasfaserinfrastruktur vorhanden, sodass hier ist ein kompletter Ausbau notwendig wird. Damit dieser Ausbau finanziert werden kann, müssen sich im Vorfeld der Baumaßnahme mehr als 30 Prozent der dort ansässigen Haushalte für einen Vertrag mit energis entscheiden. In den übrigen Ortsteilen muss man zwischen Straßen ohne vorhandene Infrastruktur, in denen ebenfalls ein kompletter Ausbau inklusive Ausbauquote notwendig ist, und Straßen mit vorhandener Infrastruktur unterscheiden. Weil hier zum Anschluss an das vorhandene Glasfasernetz lediglich ein Glasfaserkabel in das bestehende Leerrohr einzublasen ist, ist keine Ausbauquote erforderlich. Beratung vor Ort Am 22. Juni wurde das Projekt zunächst in der Rosseltalhalle Großrosseln vorgestellt. Seit diesem Zeitpunkt bieten die Glasfaser-Experten von energis Termine vor Ort an, um VorInternet-Fernsehen und Streaming-Dienste, Homeoffice und Videokonferenzen…kurz: Das moderne Leben verlangt nach immer größeren Datenvolumen, die nur mit Glasfaseranschlüssen in ausreichender Geschwindigkeit übertragen werden können. Schnelles Internet ist heutzutage ein entscheidender Standortfaktor. Das gilt nicht nur für die Ansiedlung von Wirtschafts- und Industrieunternehmen und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern auch für die Entscheidung von Bürgerinnen und Bürgern, eine Stadt oder Gemeinde als Lebensmittelpunkt auszuwählen. Für den Bürgermeister von Großrosseln, Dominik Jochum, ist der Glasfaserausbau deshalb ein Projekt höchster Priorität: „Für die Attraktivität und Zukunftsfähigkeit von Großrosseln ist dieses gemeinsame Projekt mit energis sehr wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Daher unterstützen wir die energis GmbH selbstverständlich dabei, die Ausbauziele zu erreichen“. Am 8. Mai 2023 ist energis auch in der Gemeinde Großrosseln mit der Vermarktung zum geplanten Glasfaserausbau gestartet. verträge abzuschließen. Vor der Rosseltalhalle macht seit dem 24.6. immer samstags von 8.30–14 Uhr und mittwochs von 11–18 Uhr das mobile Kundencenter von energis Station, um weiteren Beratungsbedarf zu stillen und Vertragsabschlüsse anzubieten. Online können Vorverträge bereits seit dem 8.Mai über die Homepage https://glasfaser. energis.de/grossrosseln abgeschlossen werden. Das Eingabeformular wird direkt nach dem Verfügbarkeitscheck angezeigt. Ausbau schreitet überall voran Neben dem Start in Großrosseln beginnt in Püttlingen gerade der Ausbau des zweiten Bauabschnitts. Auch in den Waderner Ortsteilen Steinberg, Reidelbach, Büschfeld und Morscholz und im Eppelborner Ortsteil Macherbach geht es mit dem Glasfaserausbau voran, ebenso wie in Ommersheim in der Gemeinde Mandelbachtal. In Köllerbach, dem dritten Bauabschnitt in Püttlingen, startet wie in Friedrichsthal gerade die Vorvermarktungsphase. [md] Weitere Infos: energis GmbH kerstin.leininger@energis.de
8 VSE kontakt | Rubrik Das Saarland soll bis 2025 flächendeckend mit gigabitfähigem Internet versorgt sein. Entsprechend wird intensiv gebaut. „Kontakt“ beleuchtet den aktuellen Stand und die Ziele. Digitales Saarland Aufbruchstimmung Flächendeckender Ausbau Koordiniert wird der Gigabitausbau im Saarland vom Zweckverband Elektronische Verwaltung im Saarland – kurz eGo-Saar. Er steht den Städten und Gemeinden beratend zur Seite, wenn es um Digitalisierung und Breitbandausbau geht. Der Zweckverband hat aber auch den Überblick und lässt keine Gebäude außen vor, wie eGo-Fachbereichsleiter Thomas Haböck erklärt: „Wir zoomen in die einzelnen Bereiche und auf jedes Gebäude, um letztendlich einen flächendeckenden Ausbau sicherzustellen. Wir berücksichtigen auch abgelegene Gebäude außerhalb von Siedlungen.“ Keine Belastung für Steuerzahler und Steuerzahlerinnen Um das Ziel zu erreichen, verfolgt das Saarland eine einzigartige Strategie. Der Gigabit-Ausbau kostet den Steuerzahler nichts, denn die Netzbetreiber arbeiten eigenwirtschaftlich. „Quasi als Investoren“, erläutert Haböck. „Sie wenden sich an die Rathäuser und bieten sich an. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Da kein öffentliches Geld fließt, sind auch keine Ausschreibungen notwendig. „Die Unternehmen wollen das so“, weiß der Breitbandexperte. Sie verlassen sich auf die Kommunen und das marktfreundliche Umfeld, das das Saarland bietet. „Sollte ein Netzbetreiber wirtschaftlich nicht klarkommen, können Förderanträge gestellt werden“, so Haböck. „In einem solchen Fall muss der Ausbau von der jeweiligen Kommune aber ausgeschrieben werden. Bislang funktioniert die saarländische Strategie sehr gut, andere Bundesländer setzen viel mehr auf Subventionen.“ Aufbruchstimmung an der Saar – im wahrsten Sinne: Das Saarland wird umgegraben. Das Ziel: Bis 2025 soll den Bürgerinnen und Bürgern flächendeckend gigabitfähiges – also schnelles - Internet zur Verfügung stehen. 60 Prozent der Haushalte sind bereits versorgt. energis als regionales Unternehmen versorgt Püttlingen inklusive Köllerbach, Wadern, Mandelbachtal. Eppelborn, Großrosseln und Friedrichsthal mit Glasfaser. Dass energis dabei auf die richtige Technik setzt, zeigen die Unterschiede zu etwa gigabitfähigem Internet über TV-Kabel, wie es andere Versorger praktizieren. FTTH (Fiber to the Home) – so der Fachbegriff – bietet gerade beim Upload von Daten eine bis zu zehnmal höhere Geschwindigkeit als TV-Kabel. Das ist nicht nur für Unternehmen entscheidend. Denn immer mehr Firmen geben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Möglichkeit, im Home Office zu arbeiten. Glasfaser ist nachhaltig Mit der Entscheidung für die FTTH-Technologie verfolgt energis auch ihre Nachhaltigkeitsziele. Laut einer vom Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO) in Auftrag gegebenen Studie benötigen FTTH-Netze sechsmal weniger Strom als TV-Kabelnetze. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) haben berechnet, dass Glasfaser in die Wohnung hochgerechnet auf die flächendeckende Versorgung Deutschlands 154 Megawatt Strom verbraucht, TV-Kabel-Netze hingegen 650 MW. Trends & Themen
9 Rubrik | kontakt VSE Mit Behörden digital kommunizieren Ein weiteres zentrales Ziel ist die flächendeckende Digitalisierung von Verwaltungen und Verbänden. Einerseits ist die interne Kommunikation geplant, andererseits Serviceleistungen für Bürgerinnen und Bürger, wie zum Beispiel das Einreichen von Anträgen. „Voraussetzung dafür ist eben auch die flächendeckende Breitbandversorgung“, so eGo-Geschäftsführer Stephan Thul. Die Kommunen, die Interesse an der Umstellung haben, stoßen dies zum Teil selbst an und werden durch den Zweckverband unterstützt. Dieser berät die Gemeinden und stellt die Software zur Verfügung. Finanziert werden die notwendigen Programme durch den Verband. „Dabei kommen zwei Finanzierungssäulen zum Tragen“, erklärt Thul. „Zum einen fließt Geld aus den Rathäusern für die Dienstleistung, zum anderen können der Verband und die Gemeinden auch Förderungen von Bund und Land in Anspruch nehmen.“ Notwendig und zielführend ist die Auslagerung der IT aus den Rathäusern, wie Stephan Thul ergänzt: „Im Saarland gibt es ein Netzwerk von Rechenzentren, meist von Unternehmen. Die Daten der Bürger und Bürgerinnen sind dort sicherer.“ So betreibt die VSE-Gruppe zum Beispiel in Saarwellingen mit SAAR1 ein hochmodernes Rechenzentrum mit höchstem Sicherheitsstandard, welches Kommunen und Unternehmen gleichermaßen zur Verfügung steht. Ältere Menschen werden mitgenommen Vielen Menschen dürfte die Frage Kopfzerbrechen machen, ob ältere Menschen mit der Digitalisierung der Verwaltungen klarkommen „Auch wenn dann viele Behördenbelange digital möglich sind, wird man nach wie vor bei Ämtern vorsprechen können. Darüber hinaus gibt es Schulungsangebote im Umgang mit digitalen Medien, zum Beispiel bei der Landesmedienanstalt. Die Digitalisierung hat gerade für ältere Menschen oder Menschen, die nicht mobil sind, auch einen entscheidenden Vorteil: Sie ersparen sich den oft mühsamen Gang zur Behörde.“ In den kommenden Ausgaben berichten wir über den aktuellen Stand in Kommunen und Erfahrungen der Verwaltungen mit dem Gigabit-Ausbau. [mjo] Das Saarland wird digital. In einer Serie berichten wir über den Fortschritt des Gigabit-Ausbaus, Hintergründe und Erfahrungen von Kommunen und Unternehmen. „Wir zoomen in die einzelnen Bereiche und auf jedes Gebäude, um letztendlich einen flächendeckenden Ausbau sicherzustellen. Wir berücksichtigen auch abgelegene Gebäude außerhalb von Siedlungen.“ Thomas Haböck, Fachbereichsleiter des Zweckverbandes Elektronische Verwaltung im Saarland Trends & Themen Hier sorgt energis für schnelles Internet • Püttlingen inklusive Köllerbach • Stadt Wadern • Mandelbachtal • Eppelborn • Großrosseln • Friedrichsthal Welcher Netzbetreiber wo baut Fünf Unternehmen teilen sich das Saarland bei der Gigabit-Versorgung auf. Sogar innerhalb der Kommunen arbeiten in verschiedenen Orts- beziehungsweise Stadtteilen verschiedene Netzbetreiber. © Christian Schwier/Adobe Stock – Composing
10 VSE kontakt | Trends & Themen welches durch die Verbrennung fossiler Energieträger entstanden wäre. Die VSE investierte ca. 5,3 Mio. Euro in ihre bisher größte PV-Freiflächenanlage. „Mit dieser Anlage zeigt die VSE einmal mehr, wie ernst es ihr mit der Umsetzung der Energiewende im Saarland ist,“ so VSE-Vorstand Dr. Stephan Tenge. „Bis 2030 soll der Anteil regenerativ erzeugter Energie am Bruttostromverbrauch auf mindestens 80 Prozent steigen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, müssen wir den Ausbau der regenerativen Energie-Erzeugung beherzt vorantreiben. Ich danke Ortsvorsteherin Mötzel, Bürgermeister Kuttler und den AbDie Photovoltaik-Freiflächenanlage Nunkirchen ist am Netz! Sie wurde am Dienstag, 6. Juni 2023, in Anwesenheit von Waderns Bürgermeister Jochen Kuttler, der Nunkircher Ortsvorsteherin Patrizia Mötzel, VSE-Vorstand Dr. Stephan Tenge und dem Leiter des Bereichs Erneuerbare Energien der VSE-Aktiengesellschaft, Dr. Frank Schmeer, offiziell eingeweiht und zeitgleich physisch in Betrieb genommen. Sonnenstunden für Nunkirchen Mit dieser PV-Freiflächenanlage im Waderner Stadtteil Nunkirchen hat die VSE AG ihre regenerative Energieerzeugung im Saarland weiter ausgebaut. Die Anlage hat eine Leistung von insgesamt 6.623 kW und kann somit unter Zugrundelegung einer jährlichen Stromproduktion von ca. 6,9 Mio. kWh fast 2.000 Drei-Personenhaushalte mit Strom versorgen. Die regenerative Stromerzeugung in dieser Anlage vermeidet den Ausstoß des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlenstoffdioxid im Umfang von ca. 4.700 t/a,
11 Trends & Themen | kontakt VSE geordneten der Räte, dass sie diesen Weg mit uns gehen. Wir brauchen Mitstreiter, gerade im kommunalen Bereich, die die Energiewende mit uns gemeinsam vorantreiben. Denn, durch den Ausbau der Erneuerbaren wird die Energieversorgung klimafreundlicher und unabhängiger von fossilen Energieimporten.“ Im Jahr 2022 hatte der Stadtrat Wadern dem Bauvorhaben einstimmig zugestimmt, wie zuvor bereits der Ortsrat Nunkirchen. Dafür ausschlaggebend war vor allem, dass im Bauleitplanverfahren unter Beteiligung der Öffentlichkeit und Träger öffentlicher Belange keine erheblichen Auswirkungen auf die Landwirtschaft sowie auf das Orts- und Landschaftsbild festgestellt werden konnten; die Anlage ist zum Beispiel von Nunkirchen aus kaum einsehbar. Dem Naturschutz wird mit umfangreichen Vermeidungs-, Verminderungs- und Kompensationsmaßnahmen genüge getan. Hinzu kommt, dass die PV-Freiflächenanlage Nunkirchen mit geringem Aufwand an das öffentliche Stromnetz der energis-Netzgesellschaft mbH angeschlossen werden konnte. „Mit Inbetriebnahme dieser PV-Anlage gewinnen die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Wadern erneut ein Stück Energieunabhängigkeit zurück“, freut sich Bürgermeister Jochen Kuttler. „Die Auswirkungen des Ukrainekrieges haben uns schmerzhaft bewusstgemacht, wohin es führen kann, von Energieimporten – wie Öl und Gas – abhängig zu sein. Die Stadt Wadern hat mit ihrem Partner, der VSE, schon vor Jahren den Weg Richtung erneuerbare Energien beschritten. Diese vertrauensvolle Partnerschaft funktioniert bestens. Das merken auch die Bürgerinnen und Bürger, die sicherlich auch deshalb bereit sind, den nicht einfachen Weg in die Energiezukunft mit uns gemeinsam zu gehen.“ Die VSE realisiert derzeit im Landkreis St. Wendel, in Mosberg-Richweiler, eine weitere Photovoltaik-Freiflächenanlage. Mit 11.784 Modulen und einer Gesamtmodulleistung von über 5,4 MW ist die Anlage zwar etwas kleiner, aber ein weiterer Beleg für das Engagement der VSE für die Nutzung der Solarenergie, bestätigt Projektleiter Dr. Frank Schmeer: „Wir setzen auf die Kraft der Sonne, weil die photoelektrische Erzeugung von Strom einen immer wichtigeren Beitrag zur Versorgungssicherheit leistet. Genau jetzt, in diesen unsicheren Zeiten, ist eine dezentrale Versorgung mit elektrischem Strom aus regenerativen Quellen unbedingt erforderlich, um jede Art von Abhängigkeit zu vermeiden. Darüber hinaus trägt jede EEG-Anlage, also jede Anlage zur Erzeugung regenerativer Energie, dazu bei, dämpfend auf das hohe Preisniveau einzuwirken.“ Die „PV-Anlage Mosberg-Richweiler“ soll im Herbst 2023 in Betrieb genommen werden. Darüber hinaus hat die VSE zwei weitere PV-Projekte in Planung. [med] Weitere Infos: VSE AG schmeer-frank@vse.de Bei der Inbetriebnahme: Michael Schlehuber (VSE), Marco Paul (VSE), Benjamin Trampert (Bauamtsleiter), Patrizia Mötzel (OV Nunkirchen), Dr. Frank Schmeer (VSE), Dr. Stephan Tenge (VSE) und Jochen Kuttler (BM Wadern) – v.l.n.r.
12 VSE kontakt | Trends & Themen Wie das möglich sein könnte, haben die Wissenschaftlerinnen Eva Hauser und Barbara Dröschel vom Forschungsinstitut IZES gGmbH aus Saarbrücken berechnet. Dafür müsste Photovoltaik viel stärker und anders genutzt werden als bisher üblich: gebäudeintegrierte Photovoltaik, die beispielsweise in Gebäudefassaden, Sonnenschutzeinrichtungen oder Glasdächer integriert wird, sowie die so genannte Agri Photovoltaik, d. h. von beiden Seiten beschienene (bifaziale) Solarmodule, die auf landwirtschaftlichen Flächen senkrecht aufgestellt werden. Riesiges Potential Das IZES hat in einem auf zwei Jahre angelegten Interreg VA-Projekt „PV follows function“ Daten über Flächen zusammengetragen und eine Potentialanalyse für alle Kommunen der Großregion durchgeführt. Mit erstaunlichen Ergebnissen: In der Großregion gibt es ein Potential von 72 GW aus Agri Photovoltaik und 112 GW aus gebäudeintegrierter Photovoltaik. Allein im Saarland könnten dem IZES zufolge 38 Quadratkilometer Dachflächen und 30 Quadratkilometer Fassadenflächen genutzt werden. Solarmodule mit insgesamt 11 GW Leistung könnten so installiert werden und rund 8.700 GWh Sonnenstrom pro Jahr erzeugen, mehr als das Saarland derzeit pro Jahr verbraucht (8.000 GWh). Das Potential für Agri Photovoltaik ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ehrgeizige Ziele erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Bis 2050 soll nach dem Willen der EU-Kommission ein Drittel des Stroms in der EU aus Photovoltaik erzeugt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, sind enorme Kraftanstrengungen vonnöten. Schon bis 2030 müsste allein Deutschland die installierte Leistung von rund 60 Gigawatt (GW) Photovoltaik auf über 215 GW steigern. Neue Wege zur Erzeugung von Sonnenstrom Freie Flächen doppelt nutzen
Trends & Themen | kontakt VSE Dass neue Wege in der Erzeugung von Sonnenstrom auch gangbar sind, zeigen die verschiedenen Pilotanlagen in der Großregion. Im Saarland ist das die Agri Photovoltaikanlage in Dirmingen, die einer der Projektpartner, Next2Sun, realisiert hat. Die dort bestehende Anlage mit 2 MW Leistung wurde im Rahmen des Projekts um 400 kW Leistung mit grünen, bifazialen Modulen erweitert. Soweit die technische Theorie und erste Praxisversuche Doch warum kommt die Nutzung neuer Möglichkeiten bei der Photovoltaik nicht so recht voran, zumal die Vorteile anscheinend überwiegen? Gebäudeintegrierte Photovoltaik wird laut Umfragen von der Bevölkerung eher akzeptiert als große Solarkraftwerke auf der grünen Wiese. Und auch das Argument riesiger Flächenverbräuche gilt nicht unbedingt für die Agri Photovoltaik. Durch senkrechtes Anbringen der Solarmodule können die dazwischen liegenden Flächen landwirtschaftlich noch genutzt werden. Allerdings ist der Stromertrag bei Agri Photovoltaik aufgrund der Sonneneinstrahlung geringer als bei üblichen Photovoltaikanlagen, die in der Regel südlich ausgerichtet sind. Dafür liefern sie morgens, abends und allgemein bei tiefem Sonnenstand Strom und stellen so Sonnenstrom in Randzeiten zur Verfügung. Es mangele am politischen Willen, sagen die beiden Wissenschaftlerinnen. Man müsse die Genehmigungsverfahren erleichtern, Förderprogramme initiieren, besser informieren und eine Solarpflicht für alle beim Bauen und Sanieren einführen. Angesichts der Klimakrise und der damit dringend notwendigen CO2-Reduktion und um eine größere Unabhängigkeit von fossilen Quellen zu erreichen, ein absolutes Muss. Hinzu kommt, dass zunehmende Digitalisierung, wachsende E-Mobilität und verstärkter Einsatz von Wärmepumpen den Stromverbrauch trotz Effizienzmaßnahmen steigen lassen. Die zunehmende Elektrifizierung unserer Gesellschaft braucht eine verstärkte Erzeugung grünen Stroms. [nea] Weitere Infos: IZES gGmbH www.izes.de Pilotprojekt: Die Agri Photovoltaikanlage in Dirmingen 13
14 VSE kontakt | Trends & Themen Heizungstausch als elementares Zukunftsprojekt Bitte Ruhe bewahren Am 19. April 2023 hat das Bundeskabinett die Pläne der Regierung in Sachen Heizungstausch offiziell beschlossen. Viel zu hohe CO2-Emissionen im Gebäudesektor haben ebenso schnelle wie einschneidende Maßnahmen überfällig gemacht. Doch was bedeuten der Entwurf zur Novellierung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) und seine jüngste Kurskorrektur jetzt genau? Und was raten Energiefachleute den verunsicherten Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern? Und wozu raten Energiefachleute Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern? Mit eilig initiierten Schritten wollen Teile der Ampelkoalition in einem Handstreich den Umstieg auf erneuerbare Energien beim Heizen beschleunigen sowie Klimaschutz und Energieunabhängigkeit in Deutschland voranbringen. Jedoch der von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingereichte Gesetzesentwurf gilt in seiner ersten Version als handwerklich schlecht gemacht. Viel zu einseitig, maßgeschneidert nur um eine einzige Technologie – die Wärmepumpe – herum ersonnen. In der Folge hat sich die Koalition unter massivem Druck der öffentlichen Diskussionen erst in KW 26 auf eine zweite Fassung, auf maßgebliche Änderungen des bisherigen Entwurfs verständigt. Analog zu ihrer Bedeutung, zu der Dimension einer „Mission Wärmewende im Gebäudesektor“ gestaltet sich die Novelle des GEG als äußerst komplex und bedurfte in der Ausgestaltung wichtiger Details hie und da noch etwas Kosmetik. Das betraf offene Fragen rund um technologische Vorgaben, Machbarkeit und Übergangsfristen, Planungssicherheit sowie Verantwortlichkeiten und nicht zuletzt staatliche Fördermaßnahmen. Fragen, auf die die Fraktionsspitzen von SPD, Grünen und FDP allem Anschein nach nun gemeinsam Antworten gefunden haben. Schwerpunkt Gebäudebestand Da hierzulande in den vergangenen Jahren im Neubau bereits verstärkt auf fossile Energieträger für Heizungen verzichtet wurde, liegt die Hauptlast der Wärmewende auf dem Wohnungsbestand. Über die Hälfte der „Substanz“ wurde nach 1945 und vor der ersten Wärmeverordnung 1978 gebaut. Dieser erhebliche Anteil ist energetisch betrachtet in einem so schlechten Zustand, dass er für den effizienten Einsatz von Wärmepumpen nur bedingt tauglich ist. Nach den ursprünglichen Plänen der Ampel könnten mit dem GEG in Zukunft theoretisch „schmutzige“ fossile Heizungen peu à peu „ausgedimmt“ werden. Über die normale Laufzeit der Anlagen könne quasi eine Art fließender Übergang hin zu einer klimafreundlichen Primärenergie eingeläutet werden. Geht eine fossil betriebene Heizungsanlage kaputt, wird diese durch eine neue „saubere“ auf Basis erneuerbarer Energien ersetzt. Dafür sieht die Regierung großzügige Übergangsfristen, sozialverträgliche Ausnahmegenehmigungen sowie gezielte Fördermaßnahmen vor,
15 Trends & Themen | kontakt VSE z. B. eine Abwrackprämie für „alte CO2-Schleudern“. Kein Grund zur Panik Als ein großes Missverständnis beim Thema Heizungstausch hat sich von Beginn an hartnäckig die Mär gehalten, dass ab 2024 jede fossile Heizung (auch ein noch intakter Gas- oder Ölkessel) ausgetauscht werden muss. Entwarnung. Jeder, der eine funktionierende Heizung besitzt, kann sich entspannt zurücklehnen. Zwar bedeutet die Novelle des GEG Veränderungen und Einschnitte. Grund zur Panik jedoch gibt es nicht. Wer aber glaubt, sich jetzt noch schnell eine neue Öl- oder Gasheizung einbauen lassen zu müssen, ist von vornherein mittelfristig schlecht beraten. Im Rahmen des EU-Emissionshandels werden die Preise für Heizöl, Diesel, Benzin und Erdgas ab 2027 wohl weiter drastisch steigen. Als gesichert gilt, … Dass ab 2024 jede neu eingebaute Heizung mindestens zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss, beschränkt sich zunächst – und das ist neu! – ausschließlich auf Neubaugebiete. Alle übrigen Fälle sollen mit dem geplanten Gesetz für die kommunale Wärmeplanung gekoppelt werden, bei der das Bundesbauministerium unter Klara Geywitz (SPD) federführend ist. Das heißt, Haushalte jenseits von Neubaugebieten dürfen, läuft alles nach Plan, bis 2028 abwarten. Dann sollte ihre Kommune die gesetzlich vorgeschriebene Wärmeleitplanung abgeschlossen haben und ihnen ein entsprechendes Angebot unterbreiten können. Neue Gasheizungen sollen nur noch erlaubt sein, wenn diese auf Wasserstoff umrüstbar sind. Dies soll auch für Neubauten außerhalb von Neubaugebieten gelten. Im Detail: Gasheizungen dürfen auch nach 2028 noch eingebaut werden, sofern sie mit mindestens 15 Prozent „grünem Gas“ (Biogas oder Wasserstoff) betrieben werden. Im Jahr 2035 soll dieser Anteil auf 30 Prozent steigen und 2040 dann auf 60. 2045 ist dann Schluss Aber spätestens im Jahr 2045 muss der Betrieb einer jeden Hybridheizung dann jedoch eingestellt und auf erneuerbare Energien umgestellt sein. So viel gilt bereits heute als gesichert, da nach Garantien der Versorger ab 2045 ausschließlich EE-Strom aus der Steckdose bzw. dekarbonisiertes Gas aus dem Hausanschluss kommen wird. Wärmeleitplanung Vielerorts beginnen somit jetzt aufwändige Prozesse, in denen die regionalen Energieversorger (EVU) eine Bestandsaufnahme ihrer unterschiedlichen Infrastrukturen in Angriff nehmen müssen. Sie dient später als Grundlage für eine sogenannte Wärmeleitplanung, zu der Kommunen – auch mit weniger als 10.000 Einwohnern – gesetzlich verpflichtet sind. Die Wärmeleitplanung soll alle lokalen und regionalen Potenziale wie PV- und Windenergie, Geothermie, Biomasse, industrielle Abwärme und vieles mehr erfassen und jeweils energetisch optimiert ausschöpfen. Am Ende werden die Stadt- und Gemeindewerke in der Lage sein, ihren Kundinnen und Kunden investitionssicher das jeweilige Optimum mit Blick auf die Wärmewende sowie technologische und wirtschaftliche Aspekte und Entwicklungen anzubieten. Wärmenetze für den Bestandsbau Bei Wärmenetzen sind kommunale Anbieter in der Pflicht, einen sogenannten Transformationspfad zu entwickeln. Dabei müssen Stadtwerke beispielsweise nachweisen, dass sich ihr Fernwärme-Angebot in Richtung Klimaneutralität bewegt. Nach Ansicht von Gas-Experten würde ein anerkannter Transformationspfad für das Gasnetz hin zu dekarbonisierten Gasen wie Wasserstoff, Biogas oder SNG (Synthetic Natural Gas) auch in der Praxis gelebte Technologieoffenheit bedeuten, ohne die eine Wärmewende nicht zu schaffen ist. Bis belastbare Ergebnisse in puncto Wärmeleitplanung vorliegen, wie, für welche Schwerpunkttechnik welches Stadtgebiet idealerweise erschlossen werden soll, braucht es noch seine Zeit. Der Plan respektive das Ziel der Regierung sieht 2028 vor. Und bis es belastbare Angebote der EVU gibt, ist es für richtungsweisende Maßnahmen von Eigenheimbesitzern – Wärmepumpe, Wasserstoff-Heizung oder Anschluss an ein Fern- oder Nahwärmenetz – jetzt definitiv noch viel zu früh. Die Gefahr von Fehlinvestitionen aus Mangel an verlässlichen Informationen und Daten ist einfach noch viel zu groß. Bis zu 70 Prozent staatliche Förderung Über die langfristigen Perspektiven des GEG sowie Ausnahmen für Härtefalle hinaus möchte die Bundesregierung den möglichen Heizungstausch auch finanziell abfedern. Was die staatliche Förderung neuer klimafreundlicher Heizungen angeht, ist ein einheitlicher Fördersatz von 30 Prozent geplant, der für alle Haushalte gilt. Verfügen diese über weniger als 40.000 Euro Jahreseinkommen, sollen 30 Prozent hinzukommen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann der Staat, wie es aus Koalitionskreisen heißt, sogar 70 Prozent der fälligen Investitionen übernehmen. Ferner sei ein „Geschwindigkeitsbonus“ von 20 Prozent in Planung. Ruhe bewahren – das Gebot der Stunde Vor dieser Kulisse war der Ratschlag von Energieexperten, die Ruhe zu bewahren und Kurzschlussreaktionen zu vermeiden, goldrichtig. Jeder tut gut daran, sich auf dem Laufenden zu halten, wie sich die Situation entwickelt. Zudem kommen Tipps wie Energiesparen, sich fortwährend über die Rechtslage zu informieren und geltendes Recht zu befolgen, wohl so schnell nicht aus der Mode. Zentrale Rolle der Stadtwerke Keine noch so sorgfältige Bestandsaufnahme kann den Anspruch auf einen in Zement gegossenen Masterplan hegen, der 30 Jahre Bestand hat. Stadtwerke sind seit Äonen in ihrer Region ansässig und kennen sich dementsprechend detailliert mit ihren jeweiligen Spezifika aus. Im Grunde sind sie seit jeher die ideale Quelle für zuverlässige „Erster Hand“-Informationen im Sinne und Interesse ihrer Kundinnen und Kunden. Doch dieses Mal gibt es sogar hier eine Einschränkung, die den Zeitpunkt betrifft: Für eine zuverlässige, kompetente Beratung, für nützliche Tipps in praktischen Energiefragen, auf die besonders die Menschen im Saarland sprichwörtlich „ein Haus bauen“ können, ist es in der „Causa Heizungstausch“ zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch zu früh. Mit dem Kompromiss der Ampel hält schlichtweg mehr Technologieoffenheit in das „Heizungsgesetz“ Einzug. Und die ist aufgrund der langen Perspektive dringend erforderlich. In naher Zukunft wird die Kunst darin liegen, den Rahmen, die technischen Optionen für Kommunen in der Praxis so weit, so breit und offen wie möglich zu gestalten. Bei technologischen Fortschritten oder infrastrukturellen Veränderungen müssen die Versorger in einem „atmenden System“ jederzeit aus dem Stand in der Lage sein, ohne großartige Reibungsverluste Stellschrauben nachzujustieren und ihre Angebote zu optimieren. Im Zusammenhang mit geeigneten Reaktionen auf die Novelle des GEG wird die Zeit für jene gleichermaßen erhellenden wie angenehmen Beratungsgespräche, für die der Kundenservice saarländischer Stadt- und Gemeindewerke weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, also erst noch kommen. [tj.] – Stand bei Redaktionsschluss –
16 VSE kontakt | Strategie & Zukunft Ein ‚alter Hase‘ im Energiegeschäft Neuer Vorsitzender des Aufsichtsrates Harald Heß ist der neue Vorsitzende im Aufsichtsrat der VSE AG. Heß löst Dr. Joachim Schneider in diesem Amt ab, der nach langen Jahren in der Energiewirtschaft in den wohlverdienten Ruhestand gewechselt ist. Harald Heß, wer ist dieser Mann? Was genau erwartet er von der VSE-Gruppe und wie sieht er ihre Zukunft? – ein Porträt. Harald Heß ist ein ‚alter Hase‘ im Energiegeschäft. Seit 32 Jahren ist der heute 58-jährige im E.ON-Konzern beschäftigt, in unterschiedlichen Funktionen an vielen unterschiedlichen Standorten und das hat ihn grundlegend geprägt. „Das Größte in meinem Leben war immer der Perspektivwechsel, wenn man was Neues beginnen und dort entsprechend lernen konnte. Wenn man diesen Schritt dann gemacht hat, fragt man sich, warum habe ich das nicht viel früher und auch viel öfter gemacht. Ich kann nur jedem raten zu überlegen, wann passt ein solcher Wechsel in meinen Lebensplan. Wenn man nur an einer Stelle tätig war, entgeht einem eine ganze Menge Erfahrung.“ Heute ist Harald Heß Senior Vice President Technology & Innovation bei E.ON und in dieser Funktion der Mann, der den zwingend notwendigen Technologie-Wechsel bei E.ON maßgeblich mit vorantreibt. Diese Karriere war dem jungen Harald nicht in die Wiege gelegt. Er ist auf einem Bauernhof groß geworden, musste als Schuljunge aktiv mitarbeiten und wusste schon früh, dass er einen
Strategie & Zukunft | kontakt VSE anderen beruflichen Weg gehen will. „So hart arbeiten für so wenig Geld, das macht keinen Sinn! Dann habe ich entschieden, dass ich aufgrund meiner analytischen Fähigkeiten Mathematik studieren wollte. Aber das war dann auch nicht so richtig spannend und so bin ich Informatiker geworden.“ Damit ist Harald Heß jetzt der richtige Mann zur richtigen Zeit. Denn die Informatik als Wissenschaft der systematischen Darstellung, Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Daten bestimmt zunehmend unser Leben und damit logischerweise auch die Prozesse in Industrie und Wirtschaft. „Die Energienetze werden smart, sie werden steuerbar. Da ist es schon super, dass ich diesen IT-Hintergrund habe, wo ich doch jetzt für die Netze verantwortlich bin. Wir werden es nur mit Standardisierung, Digitalisierung und Automation schaffen, die Anforderungen von morgen abzuwickeln. Wir müssen uns verändern in all unseren Arbeitsprozessen.“ Diesen Umstellungsprozess durchlebt die VSE gerade. In den letzten Jahren wurden bereits wesentliche Geschäftsabläufe digitalisiert. „Ich glaube, dass die VSE das sehr gut gemacht hat. Sie hat mit neuer SAP-Software das EAM-Programm für den Netzbetrieb eingeführt und parallel dazu die Umstellung im Abrechnungsumfeld. Insofern habe ich schon den Eindruck, dass die VSE hier gut unterwegs ist. In den vielen Gesprächen, die ich über EAM geführt habe, habe ich immer wieder festgestellt, dass die Kolleginnen und Kollegen in der VSE eine sehr gute Fachbreite haben. Wenn ein Unternehmen kleiner ist, dann sind die Expertinnen und Experten in der Regel breiter aufgestellt. Das ist ein großer Vorteil.“ Harald Heß ist Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten im E.ON-Verbund, u.a. bei Bayernwerk und Hansewerk. Im Vergleich zu diesen Schwester-Firmen, die ausschließlich Netzgeschäft betreiben, schätzt er bei der VSE-Gruppe die große Bandbreite: Netz (Strom, Gas, Wasser), Erzeugung Erneuerbarer Energien, Energiedienstleistungen sowie Vertrieb und Telekommunikation. „Es ist immer gut, wenn man nicht alle Eier in einem Korb liegen hat“, sagt er dazu augenzwinkernd. „Mit ihrem breiten Portfolio ist die VSE ein starker Player und Partner der Kommunen und der Wirtschaft im Saarland.“ Eine gute Voraussetzung für das ‚Osterpaket‘ der Bundesregierung. ‚Osterpaket‘ nennt man die Gesetzesnovellen, die den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland beschleunigen sollen. Ihr Anteil am Bruttostromverbrauch soll innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt fast verdoppelt werden. Harald Heß bringt diese neuen Herausforderungen so auf den Punkt: „Für die Anforderungen aus dem Osterpaket, die jetzt auf die Energieversorger zukommen – mit Anschluss von Wärmepumpen, Photovoltaikanlagen, der Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, und vieles mehr – müssen wir das Netz ausbauen und zukunftssicher machen und parallel dazu die kommunalen Gesellschaften bei der Umsetzung der künftigen Wärmeplanung unterstützen.“ Hier sieht Heß die VSE-Gruppe als Dienstleister der kommunalen Partner in besonderer Verantwortung. Der Handlungsdruck wird nach Einschätzung von Harald Heß zwar gewaltig werden, ist aber auch eine Riesenchance für die VSE. Im Konzernverbund mit E.ON könne man diese Herausforderungen meistern. „Wir werden das nur gemeinsam schaffen, was da auf uns zukommt. Die gesamte Energiewirtschaft wird sich in den nächsten zehn Jahren komplett umkrempeln. In diesen zehn Jahren wird so viel passieren wie in den letzten vierzig.“ Harald Heß, der Mann für Technologiewechsel und Innovation, schaut gespannt, aber vor allem optimistisch in die Zukunft. Ausgleich für den Berufsstress findet er zuhause in der Familie, beim Sport oder beim Lesen eines guten Buches. Harald Heß ist verheiratet und Vater zweier Töchter. Die älteste ist Kommissarin bei der Polizei, die jüngste studiert Physik. Beim Sport ist er schon von Fußball auf Golf umgestiegen, denn „das geht auch noch im fortgeschrittenen Alter“. Außerdem steht immer wieder sonntags Tanzen auf seinem Stundenplan, Standard und Latein. „Das ist schon sehr anstrengend, denn dieses Tanzen hat schon einen professionellen Charakter und eigentlich müsste ich dafür mehr trainieren.“ Er tanzt seiner Frau zuliebe, denn: „Sie ermöglicht es mir, diesen Job zu machen.“ Harald Heß, der neue Chef im VSE-Aufsichtsrat, ein Mann mit Ambitionen, großer Erfahrung und einem klaren Lebensmotto: „Mein Leitspruch ist: ‚All about peoble‘. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Ich kann eine Superstrategie haben, aber ohne die Menschen, die das tragen, leben und umsetzen, kann das Unternehmen nicht erfolgreich sein. Das ist meine ganz feste Überzeugung.“ [med] Harald Heß (2. von links) beim Besuch des Rechenzentrums SAAR 1 mit artelis-Geschäftsführer Georges Muller (li.), Tim Schönbeck von der VSE NET und VSE-Vorstand Dr. Stephan Tenge 17 Weitere Infos: www.vse.de
18 VSE kontakt | Strategie & Zukunft Kraftwerksdirektor Dr. Klaus Blug – als einer der ganz wenig verbliebenen Mitarbeiter in Ensdorf – managt den Rückbau seitens der VSE neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Energie- und Wasser-Verbands VEWSaar. Seit Beginn der 2000er Jahre ist er im Kraftwerk in verschiedenen Positionen tätig gewesen und kennt den Standort wie seine eigene Westentasche. kontakt hat ihn vor Ort getroffen. Herr Dr. Blug, wie hoch ist der Schmerz, wenn die Bagger rollen und Stück für Stück den Ort auseinandernehmen, an dem die VSE über 50 Jahre lang Strom für das Saarland erzeugt hat? Natürlich ist es eine sehr emotionale Angelegenheit, wenn ein wichtiges Kapitel saarländischer Industriegeschichte abgeschlossen wird. Aber wo Neues entsteht, muss Altes weichen. Früher haben wir mit all‘ uns zur Verfügung stehenden Kräften daran gearbeitet, das Kraftwerk möglichst lange am Leben zu erhalten, um Strom zu erzeugen. Jetzt gilt es, die letzte Lebensphase des Kraftwerks erfolgreich bis zum Ende zu begleiten. Ich bin sehr froh darüber, dass ich diesen spannenden Prozess des Lebenszyklus mitgestalten kann. Die letzten vergossenen Tränen sind seit der Stilllegung im Dezember 2017 längst getrocknet, der Blick ist in die Zukunft gerichtet. „Wir schaffen Platz für eine neue Ära im Saarland“ Die Mission Zukunft ist in Ensdorf gestartet: Im ersten Quartal 2025 soll das Kraftwerk der VSE vollständig zurückgebaut sein. So ein Projekt ist nicht nur zeitlich eng getaktet, sondern auch eine hochanspruchsvolle ingenieurtechnische Herausforderung.
19 Dr. Klaus Blug mit der Projektingenieurin Janina Frias von Arcadis Germany Strategie & Zukunft | kontakt VSE Seit die letzte Kilowattstunde Strom in Ensdorf erzeugt wurde, ist viel Zeit vergangen. Mit der Entscheidung des amerikanischen Unternehmens Wolfspeed, auf dem Gelände eine hochmoderne Halbleiterfabrik zu bauen, wurde im März dieses Jahres eine neue Ära im Saarland eingeleitet. Was musste am Standort alles getan werden, um einen solchen Riesencoup zu landen? Das ist in der Tat ein sehr langwieriger und zeitaufwändiger Prozess. Ab Ende 2017 mussten wir zunächst einmal die technischen Anlagen des Kraftwerks in einen sicheren Betrieb überführen. Sie drücken ja nicht nur auf den Aus-Knopf und dann ist alles an einem Tag erledigt. Das fängt an bei der Stromabschaltung an vielen Stellen im Kraftwerk über die Entfernung aller brennbaren Stoffe bis hin zur Sicherung des gesamten Werksgeländes. Über allem steht immer der Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz, ganz gleich, welche Arbeiten bei der Stilllegung und dem Rückbau anfallen. Parallel dazu starten die vorbereitenden Arbeiten zur Erstellung des so genannten Bauschadstoffgutachtens. Man kann sich sicherlich vorstellen, welche Herausforderung es ist, wenn eine rund 60 Jahre lang betriebene großtechnische Anlage wie das Kohlekraftwerk Ensdorf mit drei Blöcken zurückgebaut werden soll. Bevor überhaupt irgendein Werkzeug beim Rückbau zum Einsatz kommt, müssen Zustand der Gebäude und Anlagen sowie alle möglichen Risiken benannt sein. Was wurde zum Beispiel im Laufe der 60 Jahre zugebaut, saniert oder bereits abgebaut? Gab es über die gesamte Laufzeit unregelmäßige Betriebsabläufe? Welche Farbanstriche wurden genutzt? Aus welchen Stoffen setzt sich die Turbinenummantelung zusammen? Welche gefährlichen Stoffe wurden verbaut? Das alles fein säuberlich aufzulisten anhand von Unterlagen und Proben, ist Grundlage dafür, um überhaupt Kosten und Zeitplan des Rückbaus festlegen zu können. Welche Fachleute hat sich die VSE dafür ins Boot geholt? So einen Rückbau zu planen und umzusetzen, ist eine komplexe Aufgabe, die viel Erfahrung, Qualifikation und Know-how verlangt, zumal die Zeit drängt und für das Saarland wirtschaftspolitisch viel auf dem Spiel steht. Da kann sich niemand einen Fehler leisten und professionelle Hilfe ist für alle Beteiligten unabdingbar. Die VSE als Auftraggeber des Rückbaus hat sich nach einem intensiven Auswahlprozess für den international erfahrenen Consulting-Partner Arcadis aus den Niederlanden entschieden. Arcadis
20 VSE kontakt | Strategie & Zukunft Vorbereitung für die Sprengung: Alle Gebäude auf dem umliegenden Gelände müssen zuvor vollständig zurückgebaut werden. Germany fungiert als Generalunternehmen oder besser gesagt als Totalunternehmen für Planung, Überwachung und Dokumentation. Rückbau und Überwachung durften nach einer Vorgabe von VSE nicht aus einer Hand kommen und deshalb ist neben Arcadis das operative Abbruchunternehmen Johannes Landwehr aus Nordrhein-Westfalen tätig. Beim gesamten Auswahlprozess hat uns die externe Wirtschaftskanzlei Oppenhoff und Partner aus Köln juristisch unterstützt. Die finale Entscheidung für den Totalunternehmerauftrag fiel Ende 2022. Zuvor haben wir bereits Ende 2020/Anfang 2021 mit Hilfe von Arcadis das Rückbaukonzept erstellt und anschließend beim Landesamt für Umweltschutz als zuständige Behörde eingereicht. Dort kommentieren alle relevanten zuständigen Stellen wie beispielsweise diejenigen für Wasser, Umwelt, Lärm, Boden, Kreislaufwirtschaft das vorgelegte Konzept. Die Kommentare fließen in eine behördliche rechtsverbindliche Anordnung ein, die Bestandteil der Ausschreibung ist. Dort ist dann alles festgelegt wie Lärmkontingente, Arbeitszeiten auf der Baustelle, verbindliche Informationen an die Öffentlichkeit, das Einrichten einer Beschwerdestelle usw. All diese Dinge müssen im Vorfeld geklärt sein, bevor überhaupt die Ausschreibung erfolgen und ein Bagger rollen darf. Und seit wann laufen die operativen Arbeiten für den Rückbau? Offiziell gestartet sind wir am 1. Februar dieses Jahres mit der Baustelleneinrichtung. Dazu zählen zum Beispiel die Infrastruktur mit Strom und Wasser, das Aufstellen von Containern, eine funktionierende IT und das Unterbringen und Einweisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf der Baustelle. Wir haben das große Glück, dass wir die Räume des Verwaltungsgebäudes noch als Büros nutzen können sowie für die Unterbringung des Personals die Räume mit festen sanitären Anlagen gegenüber des Eingangs zum Kraftwerk. Während der gesamten Rückbauphase sind zwischen 30 und 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Gelände tätig. Der Wohlfühlfaktor und die Zusammenarbeit aller beteiligten Partner sind wichtige Grundlage für den Erfolg des Rückbaus. Das gesamte Betriebsgelände umfasst 53 Hektar. Wolfspeed benötigt aber nur rund die Hälfte. Was passiert mit dem restlichen Gelände? Der Rückbau des Kraftwerks ist von der Baumaßnahme Wolfspeed flächenmäßig losgelöst zu betrachten. Wolfspeed baut auf der Südfläche und dort stand lediglich das ehemalige Ammoniaklager des Kraftwerks, das bereits vollständig abgebaut wurde. Zudem laufen bereits die Erd- und Terrassierungsarbeiten zur Vorbereitung des Baufelds für die Gebäude von Wolfspeed. Der Untergrund muss stabil und erschütterungssicher sein, was im Vorfeld gemessen und überprüft wurde. Mit der Fundament-Pfählung soll noch in diesem Jahr begonnen werden. Der Bau der Fabrik ist von Wolfspeed beauftragt. Die VSE ist Auftraggeber für den Rückbau des Kraftwerks und wird nach erfolgreichem Abschluss das Gelände an das Land übergeben. Die VSE sichert sich lediglich drei Hektar Fläche auf dem Betriebsgelände sowie rund 1,5 Hektar neben dem ehemaligen Aus- und Fortbildungszentrum, das etwas außerhalb des Kraftwerksgeländes liegt, für mögliche energiewirtschaftliche Nutzungen in der Zukunft. Ob Wolfspeed vielleicht einmal erweitert oder ob das Land
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