Teil der Energiewende 01/2023 Wolfspeed: Leuchtturm im Strukturwandel Innovation: Energie neu denken Transformation: Digital in die Zukunft
04 Zeitenwende in Ensdorf! 06 Ende Gelände 08 Nichts ist mehr, wie es einmal war 10 Comeback der Discounter 12 Strom bekommt ein regionales Gesicht 14 Saarland braucht den Transformationsfonds 16 R ealismus statt Euphorie 18 Nachhaltiges Saarland: Klinikum Saarbrücken 20 Nachhaltiges Saarland: EMI-Hausarztpraxis 21 Nachhaltiges Saarland: Ärztekammer Saarland 22 KEEN 2.0 24 Nachhaltigkeit im Fokus 26 Ungeliebtes Haustürgeschäft 2 VSE kontakt | Inhalt 28 Quantensprung für digitale Entwicklung der FAMIS 30 Energie neu denken: Take 5 32 Gebäudesanierung! Aber wie? 34 Kurzmitteilungen 38 „Wir brauchen unbequeme Köpfe“ 40 Berufseinstieg in der SAP-Analytics Cloud 42 Pro Umweltschutz, Kultur, Heimat und Gesundheit 44 Dürfen wir vorstellen: Das CSR-Team 46 Gelebte Kooperation 48 Bonbonspender, Putzmaus und Bollywood
3 Liebe Leserinnen und Leser, auch die VSE erlebt gerade eine Zeitenwende. Anfang Februar wurde bekannt, dass sich der US-amerikanische Halbleiter-Hersteller Wolfspeed auf dem Gelände des alten VSE-Kraftwerkes in Ensdorf ansiedeln wird. Wolfspeed plant in Ensdorf sein weltweit größtes und modernstes Werk zur Herstellung von Siliziumkarbid-Halbleitern, die ein innovativer Booster in der Umsetzung der Energiewende sein werden. Denn diese Chips machen Ladevorgänge schneller, Reichweiten länger und Prozesse effizienter. Dafür wird unser Kraftwerk weichen. Natürlich lässt uns das nicht kalt. Das Kraftwerk war jahrzehntelang das Herz der VSE. Dennoch werden wir uns nicht in Wehmut verlieren. Wenn wir die Zukunft des Saarlandes und der VSE gestalten wollen, müssen wir jetzt Neues wagen. Wir sind bereit dazu! Mit einer Rekordinvestition von 230 Millionen Euro werden wir in den nächsten Monaten und Jahren die Energienetze im Saarland ausbauen. Nur so können wir die Zeitenwende im Saarland möglich machen, neue Industrien an das Netz anschließen, die Energiewende umsetzen und den Energienotstand, der durch Putins Krieg ausgelöst wurde, überwinden. Wir haben die Energiekrise der letzten Monate in der VSE-Gruppe gut gemeistert, dafür danken wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gegangen sind und immer noch gehen, um die Energieversorgung unserer Kundinnen und Kunden zu den bestmöglichen Preisen sicherzustellen und die von der Bundesregierung angesetzten Preisbremsen für Strom und Gas fristgerecht umzusetzen. Dass es dabei hier und da Verzögerungen gibt, bitten wir zu entschuldigen. Die Umstellung der individuellen Abrechnungsprozesse ist so komplex, dass die Frist nicht in allen Fällen eingehalten werden kann. Die Preisbremsen werden aber alle umgesetzt. Das Jahr 2023 ist turbulent gestartet und so wird es wohl auch weitergehen. Wir halten Sie auf dem Laufenden und setzen weiterhin auf Ihre Unterstützung. Mit freundlichen Grüßen Ihr VSE-Vorstand Dr. Hanno Dornseifer Dr. Stephan Tenge Editorial IMPRESSUM Herausgeber: VSE AG Redaktion: Marie-Elisabeth Denzer [v.i.S.d.P.] Mitarbeiter dieser Ausgabe: Marie-Elisabeth Denzer [med], Sarah Lehnen [sl], Katja Scherer [ks], Armin Neidhardt [nea], Michael Därnbächer [md], Michael L‘huillier [ml], Michi Jo Standl [mjo], Thomas Jungmann [tj] Fotos: Armin Neidhardt, brainworks unlimited, VSE AG, energis GmbH, Dirk Guldner, IZES gGmbH, Flavex Naturextrakte GmbH, Staatskanzlei Jennifer Weyand, AWO Saarland e.V., Magnus Kehl, EEW Energy from Waste GmbH, Gorodenkoff/Adobe Stock (Symbolbild), Benno Leinen, Syda Productions/Adobe Stock (Symbolbild), Yvonne Brück, Sarah Lehnen, Katja Scherer, Marie- Elisabeth Denzer, Heike Brücker-Boghossian, Felix Hübner, Beate Garmer/Ludwigsgymnasium Saarbrücken, Wasgaubad, LWleebt/CC BY-SA, BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Dirk Günther/Welt der Physik, European Energy Exchange AG, Thomas Jungmann, Magnus Kehl, Wolfspeed Inc., Adobe Stock Layout: Michael Weiss, Saarbrücken Druck: Druckerei Wollenschneider, Saarbrücken-Ensheim Copyright: VSE AG – Kommunikation, Postfach 10 32 32, 66032 Saarbrücken, Telefon 0681 607-1153, kontakt@vse.de, www.vse.de
Die Verhandlungen mit Wolfspeed waren eines der bestgehüteten Geheimnisse der letzten Jahre im Saarland. Unter dem Tarnnamen „Kicker“ verhandelte die saarländische Landesregierung mit Wolfspeed und ZF seit Ende 2021. Tatsächlich soll ein Tisch-Kicker bei den Verhandlungen eine gewisse Rolle gespielt haben. Trotzdem ist es wohl keine Spielerei gewesen, Wolfspeed ins Saarland zu locken. Wirtschaftsminister Barke spricht davon, es sei „kein Selbstläufer“ gewesen, aber am Ende zählt bekanntlich das Ergebnis. Wolfspeed-Chef Gregg Lowe gibt an, er habe sich schlichtweg in den Standort Saarland verliebt. Sei’s drum. Klar ist, diese Ansiedlung ist nicht nur für das Saarland ein Paukenschlag, sondern für die ganze Republik. Ein wirtschaftlicher Coup, der die Regierungsspitze ins Saarland lockte, Bundeskanzler Scholz gemeinsam Mit Wolfspeed in die Zukunft Zeitenwende in Ensdorf! Der 1. Februar des Jahres 2023 markiert eine industrielle Zeitenwende im Saarland. Auf dem Gelände des VSE-Kohlekraftwerks, welches im Jahr 2017 vom Netz genommen wurde, wird der US-amerikanische Halbleiterhersteller Wolfspeed in Kooperation mit dem Automobilzulieferer ZF eine hochmoderne Halbleiterfabrik errichten. Dort, wo über ein halbes Jahrhundert lang Energie aus Kohle gewonnen wurde, sollen schon in wenigen Jahren Siliziumkarbid-Chips produziert werden, die sowohl in der Automobilbranche als auch in der regenerativen Energiegewinnung und -versorgung eingesetzt werden. Film zum Thema: https://vimeopro.com/vsegruppe/ vse-tv/video/798298991 4 VSE kontakt | Standort
mit dem Vize-Kanzler, Bundeswirtschaftsminister Habeck. An großen Worten wurde folglich nicht gespart: „Heute schlagen wir ein neues Kapitel in der Wirtschaftsstruktur unseres Landes auf“ (Ministerpräsidentin Anke Rehlinger), „mit Wolfspeed kehrt die industrielle Revolution nach Ensdorf zurück … das Saarland hat Umbrucherfahrung, ist offen für Neues und entschlossen, das Neue anzupacken“ (Olaf Scholz), mit dieser Ansiedlung in nur 14 Monaten „ist das Saarland Beispiel für die neue Deutschlandgeschwindigkeit … Wolfspeed ist Startschuss für viele innovative Industrieprojekte in Deutschland“ (Robert Habeck). Alles in allem ein großer Tag für das Saarland und auch ein großer Tag für die VSE. Über 50 Jahre lang war das Kraftwerk in Ensdorf verlässlicher Energielieferant für das Saarland. Mit dem Ende des Bergbaus und dem Niedergang der Montanindustrie war auch das Ende des Kraftwerks besiegelt. Viele in der VSE denken mit Trauer an die so genannte gute alte Zeit zurück. Aber, wie sagte Kanzler Scholz in Ensdorf: „Nach der guten alten Zeit bricht nun eine gute neue Zeit an!“ Wir haben die Chance, am Standort Ensdorf die Transformation des Saarlandes von der alten in eine zukunftsfeste neue Industrie mitzugestalten. Die Wolfspeed-Chip-Fabrik wird die weltweit größte und modernste ihrer Art sein. Die Halbleiter auf Basis von Siliziumkarbid werden die Energiewende und die Elektromobilität revolutionieren. Denn diese Technik bedeutet: schnelleres Laden, größere Reichweiten und eine vielfach höhere Effizienz. Wenn alle Genehmigungen auf bundesdeutscher und europäischer Ebene vorliegen, wird der Bau des Werkes zügig vorangetrieben. Investiert werden am Standort Ensdorf zwischen 2,5 und 3 Milliarden Euro. Zwischen 600 und 1.000 neue Arbeitsplätze werden geschaffen und damit Chancen für hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Saarland. Die VSE-Gruppe wird die infrastrukturelle Anbindung der Neuansiedlung aktiv mit vorantreiben. Die Unternehmen der VSE-Gruppe bringen das ein, was ihre Stärken sind: Energie, Energie-Dienstleistungen, Telekommunikation, Facility Management und anderes mehr. Rückblickend war es eine kluge Entscheidung, den vielbegehrten Standort Ensdorf nicht an die ersten Interessenten abzugeben, sondern im Wissen um die Wertigkeit dieser besterschlossenen Industriefläche den richtigen Moment abzuwarten. Damit wurde das erhalten, was Gregg Lowe für Wolfspeed besonders wichtig ist: ideale Infrastrukturanbindungen in einer verkehrsgünstigen Lage an einem Standort mit Industriegeschichte. Am 1. Juli 1964 ging das Kohlekraftwerk der VSE in Ensdorf in Betrieb. Der Kühlturm ist bis heute eine prägende Landmarke und ein Wahrzeichen im Saartal. In den nächsten Monaten wird sich die Silhouette ändern, Kühlturm, Schornsteine und alle Bauwerke des alten Kraftwerkes werden rückgebaut, also abgerissen. Damit endet eine Ära; für das Saarland und für die VSE. Trotz aller Wehmut ist es an der Zeit, nach vorne zu blicken und die Herausforderungen der Zukunft mutig und engagiert anzunehmen. Die VSE-Gruppe ist fest dazu entschlossen. [med] Bild: LWleebt / CC BY-SA 5 Standort | kontakt VSE
Kontakt: Herr Dr. Dornseifer, Herr Dr. Tenge, bedauern Sie, dass das traditionsreiche VSE-Kraftwerk in Ensdorf bald Geschichte sein wird? Dr. Dornseifer: Ja, das würde ich schon sagen. Unser Kraftwerk war über Jahrzehnte Kern der VSE und damit Teil der saarländischen Industriegeschichte. Solch ein Kraftwerk, was ja viel mehr ist als nur Stahl, Beton und Elektronik, sondern auch für viele, viele Geschichten von Menschen, die in dem Kraftwerk gearbeitet haben, steht, jetzt abzureißen, ja das macht mich schon ein wenig traurig. Dr. Tenge: Ich glaube, das große Bedauern, das hatten wir Ende 2017, als die letzte Kilowattstunde im Kraftwerk produziert wurde, das war damals sicherlich eine sehr schwere und auch eine tränenreiche Entscheidung. In der Zwischenzeit ist aber sehr viel passiert. Wir haben gemeinsam mit der Gemeinde und der Landesregierung die Grundlagen geschaffen, damit der Standort eine Zukunft, eine große Zukunft, hat, wie wir jetzt wissen. Diesen gemeinsamen Anstrengungen ist es zu verdanken, dass sich der Investor für den Bau einer hochmodernen Chipfabrik genau an diesem Standort entschieden hat. Damit werden dort, wo jahrzehntelang Strom aus Kohle gewonnen wurde, ganz neue, zukunftsträchtige Perspektiven für das Saarland und die hier beschäftigten Menschen eröffnet. Und das freut mich sehr. Die VSE hat viel um dieses Kraftwerk kämpfen müssen, als es von einem größeren, moderneren Kohlekraftwerk abgelöst werden sollte; als diese Initiative am Bürgerbegehren scheiterte; als das Kraftwerk seine Existenz als Energielieferant der Stahlindustrie retten konnte … was sind aus dieser Zeit Ihre prägenden Erinnerungen? Dr. Dornseifer: Nun, an die Diskussionen rund um den Neubau habe ich keine wirkliche Erinnerung. Das war vor meiner Zeit bei VSE AG. Sehr wohl aber erinnere ich mich an den Abschluss der Kooperation mit der saarländischen Stahlindustrie. Das war wichtig für uns und hat uns Zeit verschafft, uns auf die sozialverträgliche Schließung des Kraftwerks vorzubereiten. Das habe ich noch gut in Erinnerung. Wirklich prägend, und das werde ich nicht mehr vergessen, war dann der Zeitpunkt, als wir den Kraftwerkern mitteilen mussten, dass 2017 Schluss ist. Das war wirklich schwer. Umso stolzer bin ich allerdings darauf, dass die Mannschaft bis zur letzten kWh ihren Job gemacht hat. Davor ziehe ich den Hut. Die VSE war immer zentraler Energieversorger im Saarland. Mit der Stilllegung des Kohlekraftwerkes konzentriert sich das Unternehmen nun auf andere Geschäftsbereiche. Dr. Tenge: Wir sind im Saarland der größte Erzeuger von erneuerbaren Energien mit einem Portfolio von rund 130 MW Wind und 25 MV Photovoltaik und wir haben in der gleichen Größenordnung weitere Projekte in Planung. Damit erreichen wir zwar noch nicht die Erzeugungs-Dimension des ehemaligen Kohlekraftwerkes, aber wir produzieren im Saarland jetzt schon einen maßgeblichen Anteil der dringend benötigten regenerativen Energie. Damit gehen wir hier eindeutig in die richtige Richtung. Dr. Dornseifer: Die VSE-Gruppe ist sehr breit aufgestellt und damit, wie es so schön heißt, resilient. Man könnte auch sagen stabiler als noch vor einigen Jahren. Das begrüße ich ausdrücklich. Allerdings sind wir dadurch auch deutlich komplexer. Stabilität auf der Transformation des Kraftwerkstandortes Ensdorf Ende Gelände Ende 2017 wurde das traditionsreiche Kohlekraftwerk in Ensdorf stillgelegt. Seitdem gab es viele Spekulationen um die Zukunft des begehrten Industriestandortes, der im Masterplan 2 der Landesregierung für Industrieflächen im Saarland als einer von 10 herausragenden Standorten aufgeführt wird. Seit dem 1. Februar wissen wir, dass der US-amerikanische Chip-Hersteller Wolfspeed eine hochmoderne Fabrik in Ensdorf bauen wird. Dafür müssen die alten Kraftwerksgebäude weichen. Damit endet eine Ära für das Saarland, vor allem auch für die VSE. Altes geht, Neues kommt mit vielfältigen Chancen für die VSE-Gruppe. Dazu Fragen an die Vorstände der VSE AG: 6 VSE kontakt | Standort
einen Seite, Komplexität auf der anderen. Das muss man immer und immer wieder gut austarieren. Das Kraftwerk steht seit nunmehr 5 Jahren still. Seitdem wird um den Standort gerungen und gefeilscht. Wie wichtig war es, mit der Freigabe des Standortes Ensdorf den richtigen Moment abzuwarten? Dr. Dornseifer: Ein solches Kraftwerk schließt man ja nicht über Nacht. Dafür braucht es Vorlauf, den wir dann aber auch genutzt haben. Außerdem wollten wir diesen tollen Standort für uns und das Saarland weiterentwickeln. Auch das brauchte Zeit. Wir redeten ja von einem genehmigten Kraftwerksstandort, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Hieran mussten wir gemeinsam mit der Gemeinde Ensdorf arbeiten, um andere Nutzungen zu ermöglichen. Auch sowas braucht Zeit. Und da wir uns als VSE frühzeitig insbesondere auch wirtschaftlich auf das Ende der Stromerzeugung in Ensdorf vorbereitet hatten, konnten wir uns diese Zeit auch nehmen. Und dann kam die richtige Stunde für eine zukunftsgerichtete Ansiedlung. Da hat dann alles schon ziemlich gut zusammengepasst. Welche Chancen ergeben sich durch die Wolfspeed-Ansiedlung für die VSE/die VSE-Gruppe? Dr. Dorneifer: Erst einmal ist das ein riesiger Erfolg für das Saarland als Industrieland. Es kommt mit Wolfspeed zukunftsweisende Technologie aus den USA ins Saarland. Und da Wolfspeed und die hoffentlich noch vielen anderen Betriebe, die sich in Ensdorf noch ansiedeln werden, Strom Wärme, Telekommunikationsdienstleistungen, Unterstützung im Bereich des Facility Managements usw. brauchen und dies ja alles die Kernkompetenz der VSE-Gruppe ist, glaube ich, dass sich hier wirklich Gutes für uns auftut. Dr. Tenge: Da gebe ich Hanno voll und ganz Recht. Als VSE-Gruppe können wir ein breites Spektrum an Dienstleistungen anbieten, um diesen Standort gemeinsam mit der Landesregierung und den industriellen Partnern weiter zu entwickeln. Die Siliziumkarbid-Halbleiter, die Wolfspeed in Ensdorf herstellen wird, sind ein Booster für die Energiewende. Die Chips machen Ladevorgänge schneller, Reichweiten in der E-Mobilität größer und Prozesse effektiver. Welchen Nutzen kann die VSE-Gruppe daraus für die eigene Energiezukunft ziehen? Dr. Tenge: Wir haben zumindest einen indirekten Nutzen, weil diese Chips vor allem auch in der Elektromobilität eingesetzt werden, was dann zu einer noch stärkeren Verbreitung der E-Mobilität in Deutschland und natürlich auch im Saarland führen wird. Das korrespondiert dann auch sehr stark mit der Weiterentwicklung unserer Energienetze, die wir kontinuierlich ausbauen und digitalisieren, damit die notwendige Energie zum Laden der Fahrzeuge bereitsteht. Hier sehen wir erhebliche Wachstumspotenziale. Wie es aussieht, wird Wolfspeed so bald wie möglich mit den Bauarbeiten für die neue Halbleiterfabrik beginnen wollen. Das bedeutet, das alte Kraftwerk muss weichen. Wie genau ist der Rückbau geplant? Dr. Tenge: Wir werden das Kraftwerk bis zum ersten Quartal 2025 vollständig zurückgebaut haben, das heißt, dann haben wir dort erst einmal eine „grüne Wiese“. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich an diesem industriepolitisch einzigartigen Standort mit seiner herausragenden Infrastruktur im Sog von Wolfspeed bald weitere Industrien und Investoren ansiedeln werden, als deutliches Signal für neues Industriewachstum im Saarland. Was sagen Sie den Kolleginnen und Kollegen, die dem guten alten Kraftwerk nachtrauern? Dr. Dornseifer: Ich trauere mit, ganz klar. Aber wir sollten bei aller Trauer die Freude über das, was da gerade in Ensdorf geschieht, überwiegen lassen. Denn alles ist im Leben vergänglich. Dr. Tenge: Ich möchte allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der VSE-Gruppe sagen, dass wir sehr stolz sein können, über 50 Jahre lang für eine sichere Stromproduktion im Saarland gesorgt zu haben. Aber lassen Sie uns jetzt nach vorne schauen. Es ist eine einzigartige Chance, Teil einer neuen Wachstumsgeschichte zu sein und diese aktiv mit voranzutreiben. Die weltweit modernste Siliziumkarbid-Chipfabrik siedelt sich am Kraftwerkstandort an, in der sicheren Erwartung, dass sich weitere Zukunftsindustrien anschließen werden, was wiederum Wachstum in anderen Bereichen wie z. B. der Elektromobilität bedeutet. Darauf können wir als VSE-Gruppe wirklich stolz sein. [med] Dr. Tenge Dr. Dornseifer 7 Standort | kontakt VSE
Nichts ist mehr, wie es einmal war Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Energieversorgungswirtschaft auf den Kopf gestellt. Alles ist teurer geworden, die Inflation wird maßgeblich von den Energiepreisen beeinflusst, verlässliche Lieferketten existieren nicht mehr. In besonderem Maße sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Energieversorgungsunternehmen gefordert, deren Arbeitsalltag sich dramatisch verändert hat. Désirée Sausen Kerstin Maldener, Magnus Kehl, Désirée Sausen und Tim Wang arbeiten in verschiedenen Funktionen und Abteilungen bei der energis GmbH. Sie alle sind zwischen 40 und 55 Jahre alt und gestandene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ausreichend Berufserfahrung, teilweise auch in anderen Branchen. Magnus Kehl beispielsweise war früher in der Automobilbranche und im IT-Bereich tätig und ist seit September 2021 bei energis für die Qualitätssicherung der energis-Kundenbetreuung, d.h. für die Betreuung und Steuerung der externen Dienstleister, die Aufbereitung und Vermittlung von Informationen, die Bewertung der abgelieferten Qualität und somit für die strategische Entwicklung zuständig. Wie seine Kolleginnen und Kollegen erschwert dem 53jährigen seit Beginn der Krise vor allem die neue „Kurzfristigkeit“ die Arbeit: „Zu kurze Vorlaufzeiten bei den ständigen Veränderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen und bei den erforderlichen Preiserhöhungen haben im letzten Jahr kaum zeitlichen Spielraum gelassen, Magnus Kehl 8 VSE kontakt | Einblick
beispielsweise für die Qualitätssicherung der Kundenkommunikation. Es waren zahlreiche Überstunden nötig, um die kurzfristigen Anforderungen im Sinne unserer Kunden umzusetzen. Auch das neue Jahr fängt mit „Aufräumarbeiten“ an. Zunächst müssen jetzt die liegen gebliebenen Kundenanfragen abgearbeitet werden. Außerdem ist „nach der Preisanpassung schon wieder vor der Preisanpassung“. Auch da stehen bereits viele Themen an, allen voran die Realisierung von Gas- und Strompreisbremsen.“ Was hätte die Politik besser machen können, Herr Kehl? „Von der Politik hätte ich mir mehr fachlich geprägte Entscheidungen, die den erforderlichen zeitlichen Vorlauf berücksichtigen, gewünscht und dass nicht alles auf die Energieversorger abgewälzt wird.“ Désirée Sausen arbeitet seit 2011 bei energis. Als Supervisor ist sie für die zentrale Steuerung des energis-Kundenservice und externer Dienstleister ebenso verantwortlich wie für die Erstellung von Steuerungs-, Service- und Vertriebsberichten für interne als auch externe Abteilungen und den Aufbau neuer Hotlines. Das gestiegene Arbeitsaufkommen im vergangenen Jahr fasst sie in Zahlen: „Insgesamt hatten wir im Jahr 2022 aufgrund der unsicheren, sich ständig ändernden Lage 31 % mehr Kundenkontakte als im Vorjahr. Dabei ist lediglich die Zahl der Briefe, die uns erreicht haben, minimal gesunken. Dafür mussten wir deutlich mehr Anrufe entgegennehmen, E-Mails und sonstige Anfragen beantworten. Das hat dazu geführt, dass wir in vielen Fällen mehr reagiert und verwaltet als vertrieblich gesteuert haben. Durch die Irritationen, die bei unseren Kunden hervorgerufen wurden und werden, ist die Arbeit auch ein Stück weit mehr in die private Welt vorgerückt, denn es gab und gibt viele Rückfragen im privaten Umfeld.“ Tim Wang arbeitet bereits seit 25 Jahren bei energis. Als Projektmanager für System & Prozesse kümmert er sich um die operative Planung, Durchführung, Steuerung und Realisierung von Projekten. Zudem ist er für die Aufnahme und Weiterentwicklung von Geschäftsprozessen und die Steuerung von System- und Softwaredienstleistern zur Erreichung der Unternehmensziele verantwortlich. Dass der Arbeitsalltag irgendwann wieder wie vor dem Krieg mitten in Europa aussehen wird, glaubt er nicht, schaut aber trotzdem optimistisch in die Zukunft: „Wir sollten uns darauf einstellen, dass dies zum neuen Alltag wird, und entsprechende Gegenmaßnahmen einleiten, die uns helfen, auf die Herausforderungen eine passable Antwort zu liefern. So wurde das Team System und Prozesse stetig durch motivierte und qualifizierte Menschen verstärkt. Daher spüre ich keine Angst, sondern freue mich auf die nächsten Herausforderungen. Im Januar hatten wir bereits unseren ersten Workshop mit dem Vertriebsteam und haben Anforderungen aufnehmen können, die nun angegangen werden. Dies war bereits 2022 Teil unserer Strategie. Ergebnisse waren ein Tool zur Bonusverbuchung und zum Umzugsprozess. Ich freue mich darauf, auch in 2023 mit geeigneten Lösungen den Vertrieb unterstützen zu können, die Vorarbeiten hierzu sind geleistet.“ Kerstin Maldener ist Produktmanagerin für E-Mobilitäts-Produkte, aber auch verantwortlich für Kunden- und Krisenkommunikation. Letztere hat aufgrund der aktuellen Entwicklungen mit dem Notfallplan Gas, den zahlreichen Preisanpassungen, den Entlastungspaketen, den Abschlagsanpassungen für Erdgas und vielem mehr das vergangene Geschäftsjahr maßgeblich bestimmt und die vertrieblichen Aktivitäten im Bereich der Elektromobilität zurückgedrängt. Angesichts all dieser Herausforderungen habe das gesamte energis-Team aber einen großen Zusammenhalt bewiesen, betont Kerstin Maldener: „Ohne unseren Teamspirit wären die politischen Entscheidungen so nicht umsetzbar gewesen. Ich habe die ganze Zeit ein kollektives Unterhaken in der gesamten Mannschaft gespürt. Und da die Zeiten insgesamt herausfordernd bleiben werden und neben politischen Entwicklungen auch der Klimawandel massive Anpassungen in Denken, Handeln, Produktlösungen, Systemen und Infrastruktur fordern wird, bleibt ein kollektiver Schulterschluss auch für die Zukunft entscheidend.“ [md] Kerstin Maldener Tim Wang 9 Einblick | kontakt VSE
In der Presse häufen sich die Berichte über sinkende Energiepreise. Und selbstredend fragen sich zahlreiche irritierte Bürgerinnen und Bürger, wann diese Marktpreise endlich auch bei den Privatkundinnen und -kunden ankommen. Entscheidung in Ruhe abwägen Genaugenommen liegen alle Fakten auf dem Tisch. Sie müssen nur der angespannten Stimmung zum Trotz besonnen abgewogen in jene Entscheidungen miteinfließen, die so bedeutende Bereiche wie ihre Energieversorgung betreffen. Die öffentliche Debatte sollte wieder – das könnte helfen, viele böse Überraschungen zu vermeiden – auf der Sachebene geführt werden. Doch das ist angesichts teilweise reißerisch verfasster Pressemeldungen aktuell allem Anschein nach keine Selbstverständlichkeit mehr. Was viele anfällig für diese Art eher halbherzig recherchierten Boulevard-Journalismus macht, sind Verunsicherungen, die derzeit auf ihre Faire Energiepreise – die zwei Seiten der Wahrheit Comeback der Discounter Kaum fallen an den Börsen die Preise für Strom und Erdgas, geht es auch schon wieder los. Vergleichsportale sind plötzlich wie wachgeküsst. So mancher Versorger bietet schon wieder Preise an, die sogar unter dem Deckel der Bundesregierung rangieren. Bevor Verbraucherinnen und Verbraucher jetzt vorschnell ihren Anbieter wechseln, empfehlen kommunale Energieversorger, dieses Mal genau hinzusehen, zu vergleichen und in Ruhe abzuwägen. 10 VSE kontakt | Energiepreise
mit vielen belastenden Fragezeichen behaftete wirtschaftliche Situation zurückgehen, und damit verbundene Zukunftsängste. Da kommen die Appelle diverser Energie-Experten und Verbraucherschützer, ein Wechsel zu einem etwas billigeren Anbieter sei eine lohnende Option, zur Unzeit. Faktencheck: Ein Wechsel ist immer ein gutes Geschäft – erstens für den Anbieter an sich und zweitens für den Betreiber des Vergleichsportals, dessen Geschäftsmodell darauf fußt, bei jeder Vermittlung eine Provision berechnen zu dürfen. Dieser Logik folgend ist das erklärte Ziel der Stadtwerke – zufriedene Kundinnen und Kunden, die bestens beraten 20 Jahre lang bei einem Anbieter verbleiben – für Betreiber von Vergleichsportalen ein „rotes Tuch“. Zwei unterschiedliche Strategien Der Preis pro Kilowattstunde ist bei der Entscheidung rund um Tarife ein wesentlicher Aspekt, aber nicht der einzige. Jedoch kann der Preis bei der Suche nach einem geeigneten Energieversorger ein hilfreicher Indikator sein. Anbieter, die jetzt in der Lage sind, ihre Preise für Strom und Gas kurzfristig zu senken, da die Preise an den Börsen gesunken sind und sie Energie sehr kurzfristig einkaufen, sind meist auch die ersten, die sich „verabschieden“, sobald die Preise wieder steigen. Erst 2021 hatten knapp 40 Energieanbieter angekündigt, die Belieferung ihrer Kundinnen und Kunden einzustellen. Im Anschluss wurden immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher zumeist von Billiganbietern aus ihren Verträgen gedrängt. Stadtwerke – das nachhaltigere Modell Wer sich wie die Stadtwerke auf lange Sicht mit Energie eindeckt, kann seine Kundinnen undKunden vor extremen Preissteigerungen schützen. Während einige Energie-Discounter ihre Kundschaft Ende 2021 „auf die Straße gesetzt“ haben, konnten kommunale Energieversorger ihre Preise stabil halten und die „Gestrandeten“ in der Grundversorgung auffangen. Danach blieben die Preiserhöhungen der kommunalen Versorger, selbst als der Strompreis an den Börsen in die Nähe der 1.000-€-Marke rückte, noch sehr moderat. Diese beruhigende Wirkung auf Preisschwankungen an den Märkten gilt sowohl nach oben als auch nach unten. Die zeitverzögerten Effekte erklären das aktuelle Phänomen, dass sich die Preise an den Börsen und die der kommunalen Versorger derzeit kurzzeitig entgegengesetzt bewegen. Was auch nicht vergessen werden darf … Verbraucherinnen und Verbraucher genießen bei ihren Stadtwerken viele Vorzüge. So identifizieren sich die regionalen Energieversorger sehr stark mit ihrer Region, für die sie sehr viel tun. Dabei werden Begriffe wie Fairness und Service, Seriosität, Verlässlichkeit und Klimaschutz großgeschrieben. Kundinnen und Kunden haben hier im Gegensatz zu profitorientierten Discountern eine feste Ansprechpartnerin oder Ansprechpartner, die sich Zeit nehmen und verfügbar sind. Um all diese Vorzüge nicht leichtfertig aus der Not heraus aufs Spiel zu setzen, empfiehlt es sich für Kundinnen und Kunden regionaler Versorger zuallererst, ihre persönlichen Ansprechpartnerin oder -partner zu kontaktieren und aktiv auf eventuell günstigere Tarife anzusprechen. Denn regionale Versorger, bei denen Bürgerinnen und Bürger ohne Frage in guten Händen sind und immer waren, beraten ganzheitlich, umfassend und verantwortungsvoll. [tj] Strompreisentwicklung an der führenden europäischen Energiebörse European Energy Exchange AG (EEX) 11 Energiepreise | kontakt VSE
Obst, Gemüse oder Fleischwaren aus heimischer, ökologischer Landwirtschaft auf regionalen Wochenmärkten oder in den Hofläden verschiedener Bauernhöfe zu beziehen, liegt voll im Trend. Warum nicht auch nachhaltigen, in der Nachbarschaft produzierten Grünstrom? Um den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein entsprechendes Angebot zu machen, arbeitet energis eng mit dem Landkreis Cochem-Zell zusammen. Verschiedene lokale Erzeugerinnen und Erzeuger regenerativer Energie sind zu einem sogenannten „Virtuellen Kraftwerk“ gebündelt, das von der VSE betrieben wird. Im Landkreis Cochem-Zell gehören unter anderem eine Biogasanlage, eine PV-Anlage in Illerich, zwei Wasserkraftanlagen in Fankel und Neef, zwei Windkraftanlagen in Illerich und Eulgem sowie eine PV-Dachanlage in Blankenrath zum Anlagenpool. Seit Januar 2023 ergänzen die Freiflächen-Photovoltaik-Anlage Blankenrath mit zwei Megawatt Leistung und die 13-Megawatt-Anlage in Büchel das virtuelle Kraftwerk. Pilotprojekt Strom bekommt ein regionales Gesicht Mit dem Pilotprojekt „Regionaler Landstrom für den Landkreis Cochem-Zell“ geht energis einen weiteren Schritt in Richtung dezentraler Energieversorgung. 12 VSE kontakt | Strom
Die gesamte Energie stammt also aus der Region und wird dort vom Landkreis und von energis zu einem attraktiven Tarif auch wieder lokal vertrieben. Und genau darin besteht der Unterschied zu anderen Ökostromprodukten. Denn als Regionalstrom gilt nur Strom aus regenerativen Energieerzeugungs-Anlagen, wie z. B. Windkraft-, Wasserkraft- oder Solaranlagen, der im Umkreis von 50 Kilometern um den eigenen Wohnort erzeugt wird. Dadurch ist eine räumliche Nähe zwischen den Stromkundinnen und -kunden und dem Ort der Erzeugung gegeben. Dies wird in Fachkreisen auch als „dezentrale Energieversorgung“ bezeichnet. „Herkömmlicher“ Ökostrom hingegen wird zwar auch regenerativ erzeugt, allerdings können die Erzeugungsanlagen dabei im Ausland stehen, wie z. B. Wasserkraftwerke in Österreich oder Norwegen. Vorteile des regionalen Landstroms Die Vorteile des regionalen Landstroms für den Landkreis liegen dabei auf der Hand. Durch die dezentrale Energieversorgung wird eine größere Unabhängigkeit garantiert und damit die Vulnerabilität bei internationalen Konfliktsituationen, wie dem derzeit tobenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, reduziert. Außerdem wird durch die Reduzierung des CO2-Ausstoßes aufgrund der Nachhaltigkeit der Energieerzeugungsanlagen ein spürbarer Beitrag zum Umwelt- und zum Klimaschutz geleistet. Aufgrund der räumlichen Nähe der Erzeuger zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern fallen keine bzw. „wenig“ Stromtransportkosten an. Da das Kapital in der Region verbleibt, wird die lokale Wirtschaft gestärkt und die Wertschöpfung in der Region gesteigert. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist die Entstehungsgeschichte des Solarparks in Büchel. Um die Bildungseinrichtungen vor Ort zu erhalten, hat die Ortsgemeinde die Photovoltaik-Freiflächenanlage vollständig in Eigenregie geplant, finanziert und betreibt diese selbständig. Durch die Einnahmen aus der Erzeugung des grünen Stroms wurde der Neubau der Grundschule, einer Kita und eines Jugendtreffs möglich. „Aber auch die Stromkundinnen und -kunden profitieren von regionalem Grünstrom“, weiß Frank-Martin Adrat, der seitens energis für das Projekt in Cochem-Zell verantwortlich ist. „Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten nicht nur zu 100 Prozent grünen Strom aus der unmittelbaren Umgebung, also ein Stromprodukt, mit dem sie sich identifizieren können, sie können ihren Strommix sogar selbst mit wenigen Mausklicks zusammenstellen. Sie entscheiden also individuell, aus welchen Energieerzeugungsanlagen ihr Strom kommt. Zusätzlich können die aus diesem Pilot gewonnenen Erfahrungen nach erfolgreicher Einführung als Blaupause für zukünftige Landstromprojekte in weiteren Regionen dienen.“ [md] Weitere Infos: frank.adrat@energis.de Vorne v.l.n.r.: Jochen Hansen (Bürgermeister Blankenrath), Jan-Eric Simon (VSE AG), Thilo Seimetz (VSE AG), Tino Pfitzner (Bürgermeister Büchel) Hinten: v.l.n.r.: Winfried Müller (Ortsgemeinde Büchel), Manfred Schnur (Landrat Cochem-Zell), Paul Conradi (Ortsgemeinde Büchel), Konrad Johann (unser-klima-cochem-zell e.V.), Edwin Kesseler (unser-klima-cochem-zell e.V.), Leo Bleser (Ortsgemeinde Büchel), Frank Adrat (energis GmbH), Dirk Barbye (unser-klima-cochem-zell e.V.) 13 Strom | kontakt VSE
Trotz einiger Hiobsbotschaften wie der Rückzug des Automobilherstellers Ford in Saarlouis und die zeitliche Verzögerung bei der Ansiedlung des chinesischen Batterieherstellers SVolt in Überherrn gibt es aber auch Mut machende Lichtblicke wie die Ankündigung des US-Konzerns Wolfspeed, in Ensdorf das weltweit größte Werk für Halbleiter aus Siliziumkarbid zu bauen. Das Saarland als klassisches Industrieland ist vom Strukturwandel stärker betroffen als andere Bundesländer. Trotzdem: Das Saarland könne Strukturwandel und habe mit dem 3 Wirtschaftsnetzwerk win Saarland Das Saarland braucht den Transformationsfonds Der Transformationsfonds und die sich daraus ergebenden Chancen für das Saarland, allen voran für die Wirtschaft, standen bei der diesjährigen Auftaktveranstaltung des Wirtschaftsnetzwerks win Saarland Ende Januar in Saarbrücken im Mittelpunkt. Ehrengast an diesem Abend war der Finanz- und Wissenschaftsminister des Saarlandes, Jakob von Weizsäcker, der in seinem Impulsvortrag über die Ziele, Chancen und Risiken des 3 Milliarden Euro schweren Transformationsfonds im Saarland informierte. 14 VSE kontakt | Strukturwandel
Milliarden Euro schweren Fonds die große Chance, innerhalb von zehn Jahren die gesamte Region langfristig zukunfts- und handlungsfähig aufzustellen, betonte von Weizsäcker. Die Transformation mit den drei Konstanten Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel sei ohnehin gegeben und für Unternehmerinnen und Unternehmer tagtäglich gelebte Normalität. Was sich geändert habe, sei die enorme Beschleunigung der Transformation, allen voran die Dekarbonisierung aufgrund der Energiekrise und des Preisschocks. „Mit dieser Herausforderung können wir alle nur gemeinsam umgehen, um sie erfolgreich zu meistern. Der Staat kann nur einen gewissen Anteil übernehmen, den größten Teil muss die Wirtschaft selbst leisten wie beispielsweise die Entwicklung neuer Produkte oder neue energieeffiziente Produktionsmethoden“, gab der Finanzminister zu bedenken. Ihm sei bewusst, dass die aktive Gestaltung des Transformationsfonds eine Riesenanstrengung für die Wirtschaft, den Staat und die Gesellschaft sei und auch nicht alle in gleichem Umfang davon profitieren könnten. „Wir werden uns die Qualität der Projekte genau anschauen und nicht wahllos alles möglich machen“, bat Weizsäcker um Verständnis. Schließlich handele es sich um Steuergelder, mit denen man sorgsam und mit Augenmaß verpflichtend umgehen müsse. Transformation aktiv gestalten Zu den drei großen identifizierten Bereichen, die mit Geld aus dem 3 Milliarden Euro Transformationsfonds unterstützt werden sollen, gehören die Industrie – von Großunternehmen über den Klein- und Mittelstand bis hin zum Ansiedlungsgeschäft – mit insgesamt 1 Milliarde Euro, die Infrastruktur allen voran der Energieträger Wasserstoff, sowie die energetische Ertüchtigung von Gebäuden mit insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro und die Stärkung der Innovationsfähigkeit mit rund 600 Millionen Euro. Dazu zählen vor allem die Stärkung des Wissenschaftsstandorts Saarland sowie die Umsetzung und Nutzbarmachung der Forschungsergebnisse für die Wirtschaft. Für die Zinszahlungen der Schuldenaufnahme hat das Ministerium rund 200 Millionen Euro eingeplant. Da das Saarland Fördergelder von der EU und vom Bund erwarte, müsse auch ein Eigenanteil geleistet werden. So stelle zum Beispiel das Land im Bereich Forschung Gebäude und Infrastruktur mit hohen Anfangsinvestitionen bereit, der Bund könne dagegen bis zu 90 Prozent der Kosten für den Betrieb übernehmen. Der Transformationsfonds sei bewusst auf die Dauer von zehn Jahren angelegt worden, um genügend Zeit zu haben, seine gänzliche Wirkung zu entfalten, und um die Handlungsfähigkeit auch der nächsten Landesregierung sicherzustellen. „Wir werden die Transformation nicht erleiden, sondern gestalten. Außerdem nehmen wir das Geld in dem zehnjährigen Zeitraum erst auf, wenn wir es tatsächlich brauchen“, zeigte sich von Weizsäcker optimistisch. Dass die beiden Sektoren Stahl und Automotive besonders stark vom Fonds profitieren könnten, liege u. a. auch daran, dass diese beiden Branchen im Saarland die höchste Beschäftigungskonzentration im Vergleich aller Bundesländer aufweisen. Trotzdem dürfe man bei Wasserstoff nicht nur an Saarstahl denken. Es gehe insbesondere auch darum, das Saarland zu einem Hub für das deutsch-französische Wasserstoffnetz aufzubauen, was für viele andere Unternehmen eine große Chance sein könnte. Die energetische Ertüchtigung von Gebäuden liege ihm sehr am Herzen. „Ohne sie wird die Energiewende nicht gelingen und die Klimaneutralität bis 2045 kaum zu erreichen sein. Wir müssen die Gebäude jetzt energetisch auf den neuesten Stand bringen, damit sie auch in 20 Jahren noch voll funktionstüchtig sind“, gab sich der Finanzminister überzeugt. Ein Appell an die saarländische Wirtschaft mitzumachen, den Transformationsfonds als Chance zu begreifen trotz der Risiken und das Saarland gemeinsam zu einer Modellregion zu entwickeln – so das Fazit. Eine Chance auch für die Unternehmen der VSE-Gruppe, die als Partner und wichtige Infrastrukturdienstleister die Energiewende im Saarland tatkräftig unterstützen. [nea] Der Finanz- und Wissenschaftsminister des Saarlandes, Jakob von Weizsäcker 15 Strukturwandel | kontakt VSE
2023 sollen den vielen Worten endlich Taten folgen und die Wasserstoffwirtschaft in der Großregion durch verstärkte grenzüberschreitende Kooperationen unter anderem auch in der Ausbildung an Fahrt aufnehmen. Den Auftakt bildete die Veranstaltung „Von der Kohle zum Wasserstoff“ des TÜV NORD Bildung Ende 2022 in Völklingen. Die Weiterbildungsträger sind demnach besonders gefordert und müssen quasi in Vorleistung treten, damit es genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt, die sich im Umgang mit Wasserstoff auskennen. Geschäftsführerin Corina Mörsdorf von TÜV NORD Bildung sieht vor allem in der Schaffung grenzüberschreitender Netzwerke eine wichtige Voraussetzung, den WasserHype um Wasserstoff auf dem Boden der Tatsachen angekommen Realismus statt Euphorie Wasserstoff elektrisiert nach wie vor die Großregion und erwärmt zunehmend mehr Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Weiterbildung. Aber die anfängliche Euphorie hat sich ein wenig verflüchtigt und der nüchternen Realität Platz gemacht. Unterschiedliche Regelwerke und Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern, mangelnde Praxiserfahrung am konkreten Projekt und fehlende Fachkräfte sorgen immer wieder für zeitliche Verzögerungen, um den vielen Wasserstoffprojekten in der Großregion den entsprechenden Anschub zu geben. Dabei gilt Wasserstoff als Energie- und Hoffnungsträger der Zukunft und könnte der Energiewende so richtig Beine machen. stoffbereich voranzubringen. Die Herausforderung besteht darin, dass trotz vieler Unwägbarkeiten beim Thema Wasserstoff im Prinzip alles gleichzeitig umgesetzt werden muss, sprich die Kundinnen und Kunden müssen her, die Erzeuger und Verteiler die Infrastruktur aufbauen und die Fachkräfte auf die Zukunft vorbereitet werden, und das möglichst schnell. Viele grenzüberschreitende Initiativen Gleiches gilt beim Blick in die Großregion. „Wir brauchen mehr Pilotprojekte auf Industrie- und Ausbildungsseite zugleich, um daran zu lernen“, fordert Professor Stefan Maas von der Universität Luxemburg. Dabei müssten alle Ebenen vom Ingenieurwesen über die Montage bis zum Handwerk einbezogen werden, und das am besten 16 VSE kontakt | Wasserstoff
grenzüberschreitend, denn trotz aller Unterschiede in den jeweiligen Ländern führe an der gemeinsamen Aus- und Weiterbildung beim Thema Wasserstoff kein Weg vorbei. Im Saarland will sich beispielsweise das Institut für ZukunftsEnergieSysyteme IZES an der akademischen Ausbildung für Wasserstoff am geplanten europäischen Projekt HALLIE beteiligen. Zudem ist IZES auch im Projekt GenComm involviert, bei dem es vor allem um die Implementierung der Wasserstoff-Technologie in Kommunen geht. GenComm habe mit seinen Pilotanlagen dazu beigetragen, Technologien zur Herstellung von grünem Wasserstoff und dessen Nutzung voranzutreiben, so Dr. Bodo Groß von IZES. „Die Industrie muss ihren Bedarf formulieren, wir brauchen Partnerschaften und praktische Anlagen zum Üben. Dann sind wir in der Lage, entsprechende Fortbildungsmodule anzubieten“, erklärt Cendrine Marchal vom belgischen Weiterbildungsträger Technifuture. In Frankreich engagiert sich das Institut Afpa im Bereich der Aus- und Weiterbildung im Wasserstoffbereich. Clément Maury hat dafür eine grenzüberschreitende Initiative für Wasserstoff-Kompetenzen gestartet, mit dem Ziel, die nationalen Strategien, den Bedarf der Wirtschaft und bereits bestehende Schulungsprogramme zusammenzutragen. Zertifikatskurs „Fachkraft für Wasserstoffanwendungen“ in den Startlöchern Der erste Kurs soll im Saarland bereits Ende März 2023 starten. TÜV NORD Bildung und die IHK Saarland haben dafür den Zertifikatskurs „Fachkraft für Wasserstoffanwendungen“ konzipiert für bis zu 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer pro Kurs. Ein Basisseminar mit gut 70 Stunden, das im ersten Schritt Grundkenntnisse über Wasserstoff vermittelt und als Grundlage für drei weitere Aufbauseminare dient. Gegebenenfalls können Energieunternehmen komplette Seminare buchen. Es sei zunächst ein regionales Projekt, das aber grenzüberschreitend weiterentwickelt werden könne, betonte Jürgen Tilk von der IHK Saarland. Schon heute seien rund ein Drittel der Ausbilderinnen und Ausbilder beim TÜV NORD zweisprachig ausgerichtet, sieht Sascha Wagner gute Chancen für die Umsetzung in der Großregion. Bürokratie als Hemmschuh Doch das Großprojekt „HydroHub Fenne“ zeigt, wie steinig der Weg zur Wasserstoffwirtschaft in der praktischen Umsetzung noch ist. Bereits seit 2019 verfolgen Siemens Energy und STEAG am Kraftwerksstandort Völklingen-Fenne den Bau eines Elektrolyseurs mit 52 Megawatt Leistung zur Erzeugung von grünem Wasserstoff. „Die Infrastruktur am Standort ist ideal geeignet, darf aber aufgrund der Systemrelevanz des dortigen Kohlekraftwerks zumindest bis zum Frühjahr 2024 für das Wasserstoffvorhaben nicht genutzt werden“, bedauert Standortleiter Dr. Christian Neu. Dabei sollte das Kohlekraftwerk schon längst stillgelegt sein, wurde aber aufgrund der Energiekrise aus der Reserve wieder ans Netz gebracht. Die nun für 2027 vorgesehene Inbetriebnahme des geplanten Elektrolyseurs stehe seiner Meinung nach in den Sternen, sollte sich an der für alle Beteiligten unübersichtlichen Gesetzeslage nichts ändern. Bei Nichtnutzung der vorhandenen Infrastruktur würde der Kostenrahmen von ca. 120 Millionen Euro steigen. Außerdem müssten die EU-Fördermittel endlich verbindlich zugesagt werden, schon alleine aus Gründen der Investitions- und Rechtssicherheit. Nicht weniger ambitioniert ist das grenzüberschreitende Infrastrukturprojekt „mosaHYc“ (Moselle Sarre HYdrogen Conversion) der beiden Netzbetreiber Creos Deutschland und GRTgaz zum Transport von Wasserstoff. Über ein rund 100 Kilometer langes Netz - davon 70 km vorhandene Leitungen - soll Wasserstoff zu den Großabnehmern wie Saarstahl fließen. Beide Unternehmen stehen längst in den Startlöchern und könnten richtig loslegen, aber die Bürokratie in Brüssel, Paris und Berlin hemmt auch hier den dringend benötigten Fortschritt. Um keine Zeit mehr zu verlieren, hat Creos im Vorgriff auf ein Ja der EU für eine Projektförderung von Bund und Land mit der Festlegung des genauen Trassenverlaufs bereits begonnen. „Es ist die Chance für den Einsatz von Wasserstoff in der Produktion in der Großregion und für die zukünftige Anbindung an das große europäische Wasserstofftransportsystem“, betont Geschäftsführer Jens Apelt. Noch sind die Kosten für die Produktion von grünem Wasserstoff extrem hoch, allein die Stromkosten machen weit über 50 Prozent aus; auch der Ausbau des Stromübertragungsnetzes in Deutschland für den Transport von regenerativ erzeugtem Strom von Nord nach Süd dümpelt vor sich hin, von den 3.200 benötigten Kilometern wurden seit 2010 nur 700 Kilometer gebaut aufgrund von Bürgerprotesten und langwieriger Genehmigungsverfahren; noch kennen viele Unternehmen gar nicht ihren künftigen Bedarf an Wasserstofffachleuten, aber eines steht fest und ist unumstritten: Wasserstoff wird den Transformationsprozess in der Wirtschaft beschleunigen. Die Menschen müssen darauf vorbereitet werden. [nea] Wasserstoffinfrastrukturund/oderbestehende Gasinfrastruktur Wie wird Wasserstoff erzeugt? 1 Für die Produktion von Wasserstoff existieren mehrereVerfahren. Grüner Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser unter Verwendung von Strom auserneuerbaren Quellen: Wind oder Photovoltaik. 2 Im Elektrolyseur wird Wasser (H2O) durch Anlegen einerelektrischen Spannung in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O) aufgespalten. Dabei bildendie Protonen an der Kathode (Minuspol) Wasserstoffmoleküle, die aufsteigen und aufgefangen werden. 3 Sogenannter blauer Wasserstoff wird aus Erdgas (CH4) gewonnen. Hierfür kommen mehrere Verfahren infrage, zum Beispiel die Pyrolyse oder die Dampfreformierung. 4 Bei der Dampfreformierung wird mithilfe von Wasserdampf der im Erdgas enthaltene Wasserstoff vom Kohlenstoff getrennt und so reiner Wasserstoff gewonnen. Dasbei der Dampfreformierung anfallende Kohlenstoffmonoxid wird zu Kohlenstoffdioxid (CO2) überführt. 5 Bei der Methanpyrolyse wird Erdgas in einem Hochtemperaturreaktor in seine Bestandteile Kohlenstoff (C) undWasserstoff (H2) zerlegt. 6 Kohlenstoffdioxid (CO2) bzw. der Kohlenstoff können in tiefliegenden geologischen Strukturen eingelagert oder zumBeispiel in industriellen Prozessen genutzt werden. Dadurch wird eine Freisetzung in der Atmosphäre vermieden. 7 Der Wasserstoff kann direkt oder über die vorhandeneGasinfrastruktur zu den Anwendern transportiert unddort verbraucht werden, zum Beispiel in Brennstoffzellen Heizungen, in Fahrzeugen oder in der Industrie. Wasserstoff: kleines Molekül mit großem Potenzial Wasserstoff gilt als ein Energieträger der Zukunft. Er kann klimaneutral mithilfe regenerativ erzeugten Stroms produziert werdenund eignet sich für Anwendungen in der Industrie, in der Wärme und Stromerzeugung oder in der Mobilität. Außerdem macht er esmöglich, regenerativ erzeugte Energie in bedeutenden Mengen zuspeichern. Erneuerbare Energien Strom Erdgasförderung Elektrolyseur Anwendungen Dampfreformierung Pyrolyse CH4 Heute: AtmosphäreZukunft: Nutzung/ LagerstätteNutzung / Lagerstätte C CO2 H2 O2 6 7 6 2 4 5 1 3 H2 Wasserstoff | kontakt VSE 17
VSE kontakt | Vorreiter Kliniken zählen zu den größten Müllproduzenten und Energieverbrauchern. Das Klinikum Saarbrücken auf dem Winterberg beschreitet mit mehreren Ansätzen konsequent den nachhaltigen Weg. Nachhaltiges Saarland Klinikum Saarbrücken: Aus Müll wird Strom Megawattsunden (MWh) Strom produziert. Bei einem durchschnittlichen Stromverbrauch eines Zwei-Personen-Haushaltes von 3.200 kWh pro Jahr – ohne Warmwasser - können mit dem Krankenhausabfall aus Saarbrücken rund hundert Haushalte mit Strom versorgt werden. Forschungsprojekt mit der HTW-Saar In diesem Jahr startet die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) ein Projekt in Kooperation mit dem Klinikum Saarbrücken. Ziel ist, die Stoffströme in den Operationssälen zu optimieren. „Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler analysieren, inwiefern es möglich ist, nicht kontaminierte Kunststoffe zu recyceln“, so Moskau. „Oder auch zu testen, inwiefern metallische Instrumente nicht weggeworfen werden müssen, sondern sterilisiert und wiederverwendet werden können.“ Entsprechende Möglichkeiten zu testen und auszuschöpfen, ist derzeit in vielen Kliniken ein Thema. „Wenn das funktioniert, ist es auch ein wichtiger Schritt in Richtung ganzheitliche Nachhaltigkeit“, fasst die Abfallexpertin zusammen. Immer weniger Stromverbrauch Eine große Herausforderung für das Klinikum Saarbrücken ist die Steigerung der Energieeffizienz. 5.000 beleuchtete Räume, Operationssäle, Büroausstattung, Mit rund 4,8 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr gelten die gut 1.900 deutschen Krankenhäuser als der fünftgrößte Müllproduzent. Zum Vergleich: Alle Privathaushalte zusammen – 2021 zählte das Statistische Bundesamt rund 40,68 Millionen – produzieren etwa 40 Millionen Tonnen Müll. Den größten Anteil des Klinikmülls macht nichtinfektiöser Abfall aus der Patientenversorgung aus. Dazu kommt jede Menge aus den Küchen. „Eine Herausforderung ist, dass wir nicht einfach Mülltrennung machen dürfen, wie man es aus privaten Haushalten kennt“, sagt die Abfallbeauftragte des Klinikums Saarbrücken, Christina Moskau. Infizierter Abfall wird von Spezialfirmen abgeholt und entsorgt, der Rest wird im Abfallheizkraftwerk (AHKW) Neunkirchen verbrannt und in elektrische Energie umgewandelt. Strom für hundert Haushalte „Wir beliefern das AHKW jährlich mit rund 500 Tonnen Müll“, erklärt Moskau. Gerade Plastikmüll, wie er in Kliniken anfällt, ist hochkalorisch. Das heißt, dass aus ihm eine besonders große Menge Energie erzeugt werden kann. Das spielt aber im Endeffekt bei der Verbrennung keine Rolle, denn die verschiedenen Abfallarten werden homogenisiert – also so vermischt, dass ein einheitlicher Energiewert rauskommt. Das machen die Kranführer mit Erfahrung und Augenmaß. Eine Tonne Abfall ergibt 700 Kilowattstunden (kWh) Strom. Aus dem Müll des Klinikums Saarbrücken werden demnach jährlich 350 Mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie will die Landesregierung das Saarland fit für eine klimaverträgliche Zukunft machen. Im Leitbild werden sowohl ökonomische und ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigt und in Einklang gebracht. Doch wie arbeitet die saarländische Wirtschaft? Im letzten Teil unserer Serie beleuchten wir die Nachhaltigkeit des saarländischen Gesundheitswesens. 18
Vorreiter | kontakt VSE Großküche: Das Krankenhaus auf dem Winterberg verbrauchte 2022 7.040 Megawattstunden (MWh) Strom. Das entspricht dem Verbrauch von rund 1.750 Einfamilienhäusern. Gegenüber 2021 wurden bereits 500 MWh eingespart. Das Nahziel ist, 2023 weitere 300 MWh einzusparen. Das entspricht zusammen dem Bedarf von 200 Einfamilienhäusern. „Um Energie zu sparen, setzen wir zum Beispiel nur noch LED-Lampen ein“, erläutert Dr. Ingo Friedrich, technischer Leiter des Klinikums. „Bei vielen Verbrauchern, zum Beispiel medizinischen Großgeräten wie MRT und CT haben wir jedoch kaum Einfluss auf den Energieverbrauch. Umso erfreulicher ist es daher, dass wir trotz wachsender Digitalisierung und steigendem Klimatisierungsbedarf seit 2010 bereits 16 Prozent Strom einsparen konnten.“ Energie sparen durch Dampfkreislauf Dampf nimmt in einem Krankenhaus einen hohen Stellenwert ein. Zum einen wird er in den Küchen für die Geschirrspülmaschinen benötigt. Andererseits dient er der Sterilisation medizinischer Instrumente. Sogenannter Reindampf ermöglicht, Keime chemiefrei abzutöten. Bis 2014 bezog das Klinikum Direktdampf vom Kraftwerk Römerbrücke. „Das war sehr ineffizient, da der verbrauchte Dampf, das Kondensat, nicht zurückgeführt werden konnte. Er landete sprichwörtlich ,im Abfluss‘“, weiß Friedrich. Inzwischen kommt der Dampf aus einer eigenen erdgasbetriebenen Dampfzentrale. „Dort wird das Kondensat in einem Kreislauf zurückgeführt und neu aufbereitet“, erklärt der technische Leiter. „Allein diese Maßnahme brachte eine Einsparung von 1.500 Tonnen CO2. Dazu kommt, dass das Klinikum seit der Einführung von Ökostrom im Jahr 2021 den CO2-Ausstoß um 86 Prozent senken konnte. Klimafreundliche Narkose Das Klinikum schütz das Klima aber nicht nur bei der Energie. Narkosegase sind um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO2. Bei der Verwendung von Narkosegasen wird der Großteil vom Patienten oder der Patientin nicht verstoffwechselt und wieder ausgeatmet. Aus den Operationssälen wurden bisher diese Gase ungefiltert abgesaugt und ins Freie abgeleitet. Das Klinikum Saarbrücken geht ab diesem Jahr einen anderen Weg: Die Gase werden unmittelbar am Narkosegerät in einem Aktivkohlefilter-Behälter aufgefangen, gesammelt und zurückgewonnen. Weitere Infos: klinikum-saarbruecken.de 19 Bei Operationen wird ein klimafreundliches Narkoseverfahren eingesetzt. Im AHKW Neunkirchen wird der Müll aus dem Klinikum Saarbrücken zu Energie verarbeitet. Druckluft, wie beim herkömmlichen Absaugen, wird nicht mehr gebraucht. So spart die Klinik obendrein noch Stromkosten. Die Kosten für die Filter amortisieren sich dadurch. [mjo] © Gorodenkoff/Adobe Stock (Symbolbild) © EEW Energy from Waste GmbH
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